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Die dritte Jungfrau

Die dritte Jungfrau

Titel: Die dritte Jungfrau
Autoren: Fred Vargas
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saloppe Haartracht, der hochmütige Tonfall, aber die natürlichen Worte, die einstudierten Haltungen, aber die spontanen Gesten. So daß man nicht wußte, ob man es mit einem überragenden und überheblichen Intellekt zu tun hatte oder aber mit einem rüden Arbeitstier, das auf Äußerlichkeiten nicht achtete. Bis hin zu jenem Soso, mit dem sie ihre Sätze oft begann, ohne daß man erkennen konnte, ob dies eine verächtliche oder eine rotzige Erwiderung war. Adamsberg war nicht der einzige, der ihr gegenüber Vorsicht walten ließ. Dr. Ariane Lagarde war die angesehenste Gerichtsmedizinerin im Land, und ohne Konkurrenz.
    »Wir haben uns geduzt?« fuhr sie fort, wobei sie ihre Asche auf den Boden fallen ließ. »Vor dreiundzwanzig Jahren hatte ich meinen Weg bereits gemacht, Sie müssen damals erst ein kleiner Lieutenant gewesen sein.«
    »Genaugenommen ein junger Brigadier.«
    »Sie erstaunen mich. Ich duze meine Kollegen nicht so schnell.«
    »Wir verstanden uns gut. Bis jener Riesenkrach losging, daß die Wände eines Cafés in Le Havre nur so wackelten. Die Tür schlug zu, wir haben uns nie wieder gesehen. Ich kam nicht mehr dazu, mein Bier auszutrinken.«
    Ariane zertrat ihre Kippe, machte es sich erneut auf dem Metallhocker bequem, wobei sie wieder zögernd zu lächeln begann.
    »Habe ich dieses Bierglas«, sagte sie, »zufällig auf den Boden geschmissen?«
    »Ganz genau.«
    »Jean-Baptiste«, sagte sie, indem sie jede Silbe einzeln aussprach. »Dieser junge Spund Jean-Baptiste Adamsberg, der glaubte, alles besser zu wissen als andere.«
    »Genau das hast du zu mir gesagt, bevor du mein Glas zerschlagen hast.«
    »Jean-Baptiste«, wiederholte Ariane langsamer.
    Die Gerichtsmedizinerin stand von ihrem Hocker auf und legte Adamsberg eine Hand auf die Schulter. Sie schien kurz davor, ihn zu umarmen, schob die Hand aber wieder in die Tasche ihres Kittels zurück.
    »Ich hatte dich gern. Du brachtest die Welt ins Wanken, ohne daß es dir überhaupt bewußt war. Und nach dem, was man sich über Kommissar Adamsberg erzählt, ist es mit der Zeit nicht besser geworden. Jetzt begreife ich: Er ist du, und du bist er.«
    »Gewissermaßen.«
    Ariane stützte die Ellbogen auf den Seziertisch, auf dem die Leiche des großen Weißen lag, wobei sie den Oberkörper des Toten wegschob, um es bequemer zu haben. Wie alle Gerichtsmediziner ließ Ariane gegenüber den Verstorbenen keinerlei Respekt erkennen. Dafür wühlte sie mit unübertroffenem Talent im Rätsel ihrer Körper herum und erwies so auf ihre Weise der unendlichen und einzigartigen Komplexität eines jeden die Ehre. Die Abhandlungen von Dr. Lagarde hatten die Leichen gewöhnlicher Sterblicher berühmt gemacht. Wer in ihre Hände geriet, ging in die Geschichte ein. Bedauerlicherweise tot.
    »Es war eine sehr ungewöhnliche Leiche«, erinnerte sie sich. »Man hatte sie in ihrem Schlafzimmer gefunden, mit einem fein ausgetüftelten Abschiedsbrief. Ein kompromittierter und ruinierter Abgeordneter der Stadt, der sich durch einen Stoß mit dem Säbel in den Bauch umgebracht hatte, auf japanische Art.«
    »Mit Gin abgefüllt, um sich Mut anzutrinken.«
    »Ich sehe ihn noch genau vor mir«, fuhr Ariane fort, im gedämpften Ton eines, der sich eine nette Geschichte ins Gedächtnis ruft. »Ein lupenreiner Selbstmord, dem noch dazu eine langjährige Neigung zu zwanghaften Depressionen vorausgegangen war. Der Stadtrat war erleichtert, daß der Fall keine höheren Wellen schlug, erinnerst du dich? Ich hatte meinen Bericht abgegeben, einen einwandfreien. Du hattest die Kopien gemacht, sie geheftet, Einkäufe erledigt, alles etwas widerwillig. Abends gingen wir am Seine-Quai einen Schluck trinken. Ich stand kurz vor der Beförderung, du träumtest ohne Ambitionen vor dich hin. Damals mischte ich Grenadine ins Bier, das schäumte sofort.«
    »Hast du auch später noch solche Mischungen erfunden?«
    »Ja«, sagte Ariane in etwas enttäuschtem Ton, »jede Menge, aber bis jetzt ohne wirklichen Erfolg. Erinnerst du dich an die Violine ? Geschlagenes Ei, Minze und Malagawein.«
    »Das habe ich nie kosten wollen.«
    »Ich hab sie aufgegeben, die Violine. Sie war gut für die Nerven, aber zu kalorienreich. Wir haben viele Mischungen versucht in Le Havre.«
    »Außer einer.«
    »Soso.«
    »Die Mischung der Körper. Die haben wir nicht versucht.«
    »Nein. Ich war noch verheiratet und ergeben wie ein kranker Hund. Dafür bildeten wir ein perfektes Duo bei den Polizeiberichten.«
    »Bis
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