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Die dritte Jungfrau

Die dritte Jungfrau

Titel: Die dritte Jungfrau
Autoren: Fred Vargas
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mit Drogen dealten, so hatte der für diesen Bezirk zuständige Bulle als einzigen Kommentar bemerkt. Adamsberg legte großen Wert darauf, sie noch einmal zu sehen, seitdem Kommissar Mortier vom Drogendezernat sie ihm wegzunehmen gedachte.
    »Zwei Penner mit durchschnittener Kehle an der Porte de la Chapelle, die sind für mich, Adamsberg«, hatte Mortier erklärt. »Zumal ein Schwarzer mit von der Partie ist. Du solltest sie mir übergeben, worauf wartest du noch? Soll’s Weihnachten darüber werden?«
    »Ich warte, bis ich weiß, warum sie Erde unter den Fingernägeln hatten.«
    »Weil sie vor Dreck nur so starrten.«
    »Weil sie gegraben haben. Und Erde ist was für die Mordbrigade und was für mich.«
    »Hast du noch nie gesehen, daß irgendwelche Idioten Stoff in Blumenkästen versteckt hatten? Du verschwendest deine Zeit, Adamsberg.«
    »Das ist mir egal. Ich mag das.«
    Die beiden nackten Leichen lagen nebeneinander, ein großer Weißer, ein großer Schwarzer, der eine stark behaart, der andere nicht, jeder unter einem Neonlicht des Leichenschauhauses. So wie sie jetzt dalagen, mit geschlossenen Füßen, die Hände am Körper, schienen sie im Tod zu braven Schülern geworden zu sein. Eigentlich, dachte Adamsberg beim Anblick ihrer folgsamen Körperhaltung, hatten die beiden Männer ein durchaus klassisches Dasein geführt; so geizte das Leben mit Originalität. Durchorganisierte Tagesabläufe: Der Morgen war stets dem Schlaf vorbehalten, der Nachmittag wurde dem Schwarzhandel gewidmet, der Abend war den Mädchen bestimmt und der Sonntag den Müttern. Wie überall, so herrschte die Routine auch in den Randbezirken des Seins. Ihre bestialische Ermordung brach auf ungewöhnliche Weise mit dem Hergang ihres sonst so faden Lebens.
    Die Gerichtsmedizinerin sah zu, wie Adamsberg um die Leichen herumlief.
    »Was soll ich mit ihnen machen?« fragte sie, eine Hand auf dem Schenkel des großen Schwarzen, den sie lässig tätschelte wie für einen allerletzten Trost. »Zwei Burschen, die in den Elendsvierteln mit Drogen dealten, mit einer Klinge aufgeschlitzt, das sieht nach Arbeit für die Drogenfahnder aus.«
    »In der Tat. Sie fordern sie ja auch lauthals für sich.«
    »Und? Wo liegt das Problem?«
    »Das Problem bin ich. Ich will sie ihnen nicht geben. Und ich erwarte, daß Sie mir helfen, sie zu behalten. Finden Sie irgend etwas.«
    »Warum?« fragte die Gerichtsmedizinerin, die Hand noch immer auf dem Schenkel des Schwarzen, wie um zu betonen, daß sich der Mann im Augenblick noch in ihrer Obhut befand, in einer freien Zone, und daß allein sie über sein Schicksal entschied, in Richtung Drogendezernat oder in Richtung Mordbrigade.
    »Sie haben frische Erde unter den Fingernägeln.«
    »Ich nehme allerdings an, die Drogenfahnder haben auch ihre Gründe. Sind die beiden Männer bei ihnen registriert?«
    »Nicht mal das. Diese beiden Männer sind für mich bestimmt, Schluß, aus.«
    »Man hatte mich vor Ihnen gewarnt«, sagte die Gerichtsmedizinerin ruhig.
    »In welchem Sinne?«
    »In dem Sinne, daß man nicht immer begreift, wonach Ihnen der Sinn steht. Die Folge: Konflikte.«
    »Es wäre nicht das erste Mal, Ariane.«
    Die Gerichtsmedizinerin zog mit der Fußspitze einen Rollhocker zu sich heran und setzte sich mit übereinandergeschlagenen Beinen darauf. Adamsberg hatte sie schön gefunden, damals, vor dreiundzwanzig Jahren, und sie war es noch immer, mit sechzig Jahren, wie sie da so elegant auf dem Schemel des Leichenschauhauses saß.
    »Soso«, sagte sie. »Sie kennen mich.«
    »Ja.«
    »Aber ich Sie nicht.«
    Die Medizinerin zündete sich eine Zigarette an und dachte eine Weile nach.
    »Nein«, sagte sie schließlich, »sagt mir nichts. Ich bedaure.«
    »Es war vor dreiundzwanzig Jahren und dauerte nur ein paar Monate. Ich erinnere mich an Sie, an Ihren Namen, Ihren Vornamen und daran, daß wir uns duzten.«
    »So weit war es schon gekommen?« sagte sie nicht gerade herzlich. »Und was haben wir ach so Vertrauten miteinander angestellt?«
    »Wir hatten einen Riesenkrach.«
    »Als Verliebte? Ich wäre untröstlich, wenn ich mich daran nicht erinnern würde.«
    »Als Kollegen.«
    »Soso«, wiederholte die Gerichtsmedizinerin, die Stirn gekraust.
    Abgelenkt von den Erinnerungen, die diese hohe Stimme und der schroffe Ton ihm wieder ins Gedächtnis riefen, neigte Adamsberg den Kopf. Da war sie wieder, jene Zweideutigkeit, die ihn als jungen Mann so verlockt und verunsichert hatte, die strenge Kleidung, aber die
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