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Die dritte Ebene

Die dritte Ebene

Titel: Die dritte Ebene
Autoren: Ulrich Hefner
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Highway 60 von Magdalena nach Socorro donnerte. Er hatte die Interstate 40 bei Chambers verlassen, weil es kurz vor Gallup einen schweren Unfall gegeben hatte, und war über Saint Johns nach Quernado hinuntergefahren. Damit hatte er sich einen großen Umweg erspart, denn die Polizei leitete den Verkehr über die nördlichen Nebenstraßen an der Unfallstelle vorbei, was zu kilometerlangen Staus führte.
    Der Dieselmotor seines Peterbilt Freewheelers schnurrte vor sich hin, und aus dem Radio erklang gedämpft Countrymusik. Gene war mit Leib und Seele Fernfahrer. Den Truck hatte er sich auf Pump gekauft, doch in den letzten Monaten hatte es nicht an Aufträgen gemangelt. Der Auflieger seines Trucks war randvoll gefüllt mit Fernsehern, DVD-Playern und Digitalrecordern für einen Elektronik-Großmarkt, der in Kürze seine Pforten öffnen würde. Der Auftrag war gut bezahlt, und für den Rückweg nach Houston war bereits die nächste Ladung gebucht. Er wusste, dass er seinen Erfolg im Frachtgeschäft seiner Frau verdankte, denn seit sie die Disposition übernommen hatte, fuhr er immer weiter in die Gewinnzone. Ihm war es egal, was er hinter sich auf der Ladefläche transportierte, Hauptsache, es stank nicht und brachte reichlich Bucks auf sein Bankkonto.
    Er freute sich auf das Wochenende, wenn er mit Rita nach Del Rio fahren würde, um dort auf dem großen Truckertreffen alte Bekannte wiederzusehen. Das würden ein paar lange und feuchte Nächte werden. Mit den Fingern schlug er auf dem Lenkrad den Takt. Es kam ihm vor, als sei die Musik früher besser gewesen, gefühlvoller, harmonischer, ja, auch eine Spur ehrlicher als der Kram, der heutzutage die Charts rauf- und runterdudelte.
    Es war kurz vor Socorro, als die Frau plötzlich wie aus dem Nichts durch die morgendlichen Nebelfetzen mitten auf seiner Fahrbahn auftauchte. Mit voller Wucht presste er den rechten Fuß auf die Bremse. Die Reifen des Peterbilt kreischten, und der Laster schlitterte über die feuchte Fahrbahn. Fast schien es, als wollte die Rutschpartie kein Ende nehmen. Das Ächzen und Stöhnen des Trucks schmerzte ihm in den Ohren. Eine Sekunde später holperte der Lastzug über den Randstreifen und schlitterte eine kleine Böschung hinunter. Ein erschütternder Schlag beendete die Fahrt, und der Laster knallte gegen einen Baum, wo er schließlich zum Stehen kam.
    Gene fuhr sich mit der Hand über die Stirn. Es dauerte eine Weile, bis er begriff, was geschehen war. Mit zitternden Knien stieg er aus. Sein Gesicht war kalkweiß. Im morgendlichen Dämmerlicht suchte er mit den Augen die Umgebung ab. Doch niemand war zu sehen. Hatte er sich das alles nur eingebildet? Er hätte schwören können, dass eine Frau in einem hellen Morgenmantel direkt vor ihm auf der Straße gestanden hatte. Ihm wurde flau im Magen. Hatte er sie etwa überfahren?
    Er trat vor den Laster. Der Rammschutz hatte ihn vor größerem Schaden bewahrt, auch wenn der Baum nahezu entwurzelt war. Aber seine Sorge galt im Moment etwas anderem. Er suchte nach Blut, nach einem Fetzen Stoff, nach einem Hinweis auf die Frau, doch er fand nichts. Das Chrom des Stoßfängers glänzte nahezu unberührt. Erleichtert atmete er auf. Er umrundete den Wagen und fluchte, weil sich die Reifen tief in den sandigen Boden eingegraben hatten. Aus eigener Kraft würde er es nicht schaffen, den Wagen aus dem feuchten Untergrund zu befreien. Langsam ging er zurück zur Straße. Er folgte den frischen Profilspuren der Reifen. Durch die milchigen Nebelfetzen lief er zu der Stelle, an der er die Frau gesehen hatte. Plötzlich hörte er ein leises Wimmern, und ein Schreck durchzuckte seinen Körper. Er hatte nicht geträumt. Die Frau kauerte am Straßenrand und verbarg das Gesicht in den Händen. Das Wimmern verstummte, als er sich näherte. Mit weit aufgerissenen Augen schaute sie auf.
    »Lady, ist Ihnen etwas passiert?«, fragte er.
    Die Frau wirkte wie ein Gespenst aus einer anderen Welt.
    »Kann ich Ihnen helfen?«
    Sie versuchte sich zu erheben, doch ihre Beine knickten ein. Er sprang hinzu und stützte sie. Behutsam ließ er sie wieder zu Boden gleiten. Irgendetwas stimmte hier nicht. Was tat eine Frau im Morgenmantel, noch dazu ohne Schuhe, weitab von der nächsten Stadt mitten auf der Straße? Er musterte sie, doch außer ein paar Schrammen an Armen und Beinen konnte er keine Verletzung entdecken.
    »Bleiben Sie hier liegen. Ich hole eine Decke.«
    Gene wandte sich um, doch die Frau griff nach seinem Arm. Wie
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