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Die drei Stigmata des Palmer Eldritch

Die drei Stigmata des Palmer Eldritch

Titel: Die drei Stigmata des Palmer Eldritch
Autoren: Philip K. Dick
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in Verbindung setzen. Eine knappe Seite später erfährt Leo, daß alles nur eine Projektion ist und Dr. Smile, weil lediglich in ihrer Fantasie vorhanden, nur mit den beiden Menschen kommunizieren kann, die sich auf diesem subjektiven Trip befinden. Der gute Leo weigert sich, dies zu glauben – er erkennt eine Unstimmigkeit und handelt dementsprechend, und hier haben wir ein einfaches Beispiel dafür, wie sich in einer solchen Erzählsituation jegliche Ungereimtheit zum Vorteil des Autors nutzen läßt. Es folgen weitere Verwicklungen von Handlung und Logik, die sowohl die Verwirrung als auch die Bereitschaft des Lesers steigern, seine Zweifel außen vor zu lassen. Dick entführt uns auf einen gänzlich überzeugenden hypothetischen psychedelischen Trip.
    S. 105 f.: »Verfluchtes Chew-Z«, sagt Leo zu seinen beiden Begleitern, dem Koffer und dem Mädchen. »Es hat alles durcheinandergebracht; ich habe keine Ahnung, was zum Teufel hier gespielt wird ... Wer hat je von einem Koffer gehört, der von außerirdischen Intelligenzen aus einem fremden Sonnensystem beherrscht wird?«
    Im nächsten Absatz heißt es: »Ich weiß, was hier gespielt wird, dachte er plötzlich. Auf diese Weise will Palmer Eldritch meinen Verstand in seine Gewalt bringen.« Haben Sie bemerkt, wie schnell und glaubhaft er sich widerspricht? Eine halbe Seite später erleben wir eine Szene auf der Erde, die eindeutig darauf hinweist, daß Dr. Smile Leos Nachricht doch an Barney übermittelt hat ... was uns einerseits zwar immer noch im unklaren darüber läßt, welche Realität denn nun die echte ist, andererseits aber durchaus der Richtung entspricht, die das Buch (urplötzlich) eingeschlagen hat. Manche Leser werden an dieser Stelle natürlich entsetzt die Hände ringen und diesem wirren Mischmasch aus Sinn und Unsinn den Rücken kehren. Doch wer derlei Ambiguität aus eigener Erfahrung kennt, wird gebannt weiterlesen, weil ihm die Geschichte mit einem Mal vertraut (!) und glaubwürdig erscheint, auf einem Gebiet, in das bislang kaum jemand (außer vielleicht Borges?) erfolgreich vorgedrungen ist. Die subjektive Erfahrung ist einem Roman (von einem Sachbuch ganz zu schweigen) immer eine Nasenlänge voraus, und wenn wir auf eine Geschichte (oder ein Musikstück oder Gemälde) stoßen, die dieses vertraute, doch unerklärte (und daher gänzlich private) Gebiet zu beschreiben versucht, sind wir begeistert. »Ja! Genau so ist es!«
    Für den unvoreingenommenen Leser ist die auf S. 99 beginnende Szene derart fesselnd, derart komisch, gruselig und faszinierend, daß der Drang zum Weiterlesen jeden Impuls, dem Autor Ungereimtheit vorzuwerfen, zunichte macht. (Die Story zügig voranzutreiben, statt implausible Vorgänge zu explizieren oder zu erklären, gereicht Dick hier sehr zum Vorteil.) Wir lesen weiter, und plötzlich erkennen wir das System von Widersprüchen, und wir akzeptieren das System, finden in gewissem Sinne sogar Gefallen daran, daß für jeden verknüpften Handlungsfaden anderswo drei neue lose Enden entstehen. Will sagen, wir, die Leser, werden in die Chew-Z-Erfahrung direkt einbezogen.
    Die Szene auf S. 99 ff. hat eigentlich keinen Schluß. Sie setzt sich im nächsten Kapitel fort und reicht bis zur letzten Seite des Romans (und darüber hinaus). Der Punkt, an dem der Roman sich zu verselbständigen beginnt, läßt sich also haargenau bestimmen.
    Wie packt man einen Tiger beim Schwanz? Muß man sich nicht erst einmal von hinten anschleichen und ihn buchstäblich packen und durch die Luft wirbeln zu können? Wie stellt man das an? Eben noch war von dem Tiger nichts zu sehen, im nächsten Augenblick schon hat man ihn beim Schwanz. Aber der Übergang ist nur schwer festzumachen.
    Wie heißt der Tiger?
    Die Situation wird real, für den Autor, den Leser, die Figuren – real, zwingend und unausweichlich –, und die Geschichte kommt in Gang. Dabei gibt es eine interessante Parallele zum sogenannten »Anlaufen« eines Trips. Um 1967, als ich regelmäßig LSD nahm, war ich von dieser Frage geradezu besessen: Man schluckt die Droge, und zwanzig bis vierzig Minuten später fängt man an zu lachen, hat einen Flash nach dem anderen, sieht faszinierende Muster an den Wänden, und plötzlich – wenn das Zeug etwas taugt – ist man so stoned, wie man es sich niemals hätte träumen lassen. So weit, so gut. Wenn man nüchtern ist, weiß man, daß man nüchtern ist. Wenn man total stoned ist, weiß man, daß man stoned ist, daß man unter
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