Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die drei Hellwang-Kinder

Die drei Hellwang-Kinder

Titel: Die drei Hellwang-Kinder
Autoren: Horst Biernath
Vom Netzwerk:
Gedanken huschten wie ein Nest aufgescheuchter Wiesel durcheinander.
    — Ich bin drauf und dran, mich in ihn zu verlieben, dachte sie beklommen. Und dann sprach die Stimme ihres gesunden Verstandes auf sie ein: Sei vernünftig! Schlag dir das aus dem Kopf! Nicht, weil er der Mann deiner Schwester war, aber wie willst du an Luisas Stelle treten? Luisa war eine wunderbare Frau. Sie besaß alles, was dir fehlt. Sie war schön und sanft und klug. Sie besaß jene stille Klugheit, deren Wurzeln Erfahrung und Reife sind. Wie soll es dir je gelingen, ihm das zu werden, was Luisa ihm war? Du kannst nie mehr als seine Geliebte werden — und das wäre Verrat an Luisa, und es macht keinen Unterschied, daß sie nicht mehr am Leben ist. Trix griff nach dem Spaten und beugte sich über das Erdbeerbeet. Wenn doch von irgendwoher eine Antwort auf ihre Bewerbungsschreiben käme! Und wenn es das kleine Nest im Chiemgau war, wo das neue Kreiskrankenhaus einen Röntgenologen suchte...
    Hellwang nahm in dem Sessel neben dem Bücherbord in der Leseecke seines Arbeitszimmers Platz. Eine ältere Abhandlung von Häbler über die überseeischen Unternehmungen der Welser lag auf seinen Knien, ein Lobgesang auf die königlichen Kaufleute. Zettel mit Notizen staken zwischen den Seiten. Er schlug das Buch auf und begann zu lesen. Vor zwei Wochen war die endgültige Entscheidung zwischen Gordon-Pascha und den Weisem zugunsten der Welser gefallen, er hatte die Arbeit wieder intensiv auf genommen und war, ohne es selbst recht zu merken, von Tag zu Tag tiefer in das Thema eingedrungen. Der Stoff fesselte ihn und begann Ausblicke zu eröffnen, die ihn erregten, als befände er sich auf einer abenteuerlichen Entdeckungsfahrt in ein unbekanntes Land. Und von Tag zu Tag weitete sich der Stoff aus. Die Geschichte des augsburgischen Patriziergeschlechtes, das durch die heimliche Ehe der Weisertochter Philippine mit Erzherzog Ferdinand — >wenn auch ein wenig außerhalb der Legalität
    — mit dem Kaiserhaus verschwägert gewesen war, rückte in den Hintergrund. Die Gestalten der Welser mit ihren kühlen, schmal-lippigen Gesichtern und herrschsüchtigen Augen traten in einen größeren Rahmen ein, der ein Gemälde von tieferer Bedeutung umspannte. — Mit der Anhäufung des Kapitals in den Niederlassungen der Augsburger und Nürnberger Gewürzkrämer regte sich ihr Machthunger. Und wo fanden sie ein besseres Spielfeld für ihren Ehrgeiz als in der Politik. In den Mauern des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation zeigten sich die ersten Risse. Aber diese »fürstlichen Kaufherren< taten nichts, um den tragischen Zerfall aufzuhalten. Der Blick dafür, daß die stürzenden Trümmer des Reichsbaues auch sie selber erschlagen würden, war ihnen nicht gegeben. Die zunehmende Schwäche des Reiches, das mit der Kaiserkrönung Ottos I. die Nachfolge des Imperium Romanum so glanzvoll begann, war der Nährboden, auf dem ihr unersättlicher Hunger nach Reichtum und Macht hypertrophisch wucherte. In der dünnen Luft ihrer Handelskontore schoben sie mit spitzen Fingern die Figuren über das politische Schachbrett, stürzten oder erhoben die Kaiser, verschuldeten die Ritterschaft, nahmen Länder zum Pfände, ließen die Bauern verbluten, verheirateten ihre Töchter mit Königssöhnen und hoben ihre Söhne auf Kardinalssitze, dämonische Drahtzieher einer egoistischen Hausmachtspolitik, deren unheilige Insignien das Kontobuch und der Zinsbegriff waren, während die Krone der deutschen Kaiser auf unwürdigen Häuptern ihren Glanz verlor und der Reichsapfel aus schwachen Händen in den Staub rollte.
    Hellwang überflog seine Notizen, die er gestern gemacht hatte. Er versuchte weiterzulesen, aber er brachte keine rechte Sammlung auf. Und es war zwecklos, die Gedanken mit Gewalt in den Stoff hineinbohren zu wollen. Sie rutschten ihm aus. Er klappte den Häbler zu und trat ans Fenster. Hinter dem Netzwerk des Geästes der entlaubten Kirsche schimmerte Trixens blaues Kleid mit der goldgelben Schürze und darüber der leuchtende Fleck ihres bunten Kopftüchelchens, das sie sich irgendwann aus Italien mitgebracht haben mochte.
    »Wenn doch diese verdammten Sanatorien keine Antwort gäben!« sagte Hellwang plötzlich laut. Er fuhr sich über das Gesicht, als nähme er eine Maske ab, und was dahinter zum Vorschein kam, war die blanke Furcht, Trix könnte ihn und das Haus wieder verlassen. Warum sollte er sich nicht eingestehen, daß mit ihrer Ankunft ein guter Geist
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher