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Die Drachen von Montesecco

Die Drachen von Montesecco

Titel: Die Drachen von Montesecco
Autoren: Bernhard Jaumann
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keine Ahnung von Psychologie«, sagte Franco. »Eine so attraktive Frau wird andauernd dumm angesprochen. Da schätzt man es, wenn sich ein Mann mal etwas zurückhält. Das wirkt viel interessanter. Als ich Mitte der sechziger Jahre mal einen Sommer lang Tretboote am Strand von Marotta vermietet habe, habe ich mit dieser Taktik nur die allerbesten …«
    »Du alter Spinner«, sagte Milena Angiolini. »So eine wie die interessiert sich nur fürs Geld.«
    »Für viel Geld«, sagte Marta Garzone.
    »Und ich frage mich, woher der alte Sgreccia das hat«, sagte Milena Angiolini. Aber wahrscheinlich war sie nur neidisch, weil sie nicht mehr die Schönste in Montesecco war.
    Drei Tage lang war an den alten Sgreccia nicht heranzukommen. Er ließ die anderen nicht etwa an der Pfarrhaustür abweisen, sondern wechselte durchaus ein paar Worte mit jedem, der ihn aufsuchte. Seinen Sohn Angelo und dessen Frau Elena lud er zu einem fünfgängigen Abendessen ein, den Kindern des Dorfes ließ er vom Pianistenein Konzert geben, Franco Marcantoni und Gianmaria Curzio stellte er die drei Damen aus Rom, die auf die Namen Wilma, Laura und Piroschka hörten, vor. Allerdings schaltete Sgreccia auf stur, sobald ihm jemand ins Gewissen reden oder auch nur begreifen wollte, was in dem Alten vor sich ging.
    »Heute ist der erste Tag vom Rest deines Lebens.« Das war das einer Erklärung am nächsten Kommende, wozu sich Sgreccia herabließ. Daß er hinzufügte, den Spruch in seinem Abreißkalender gelesen zu haben, trug wenig zum tieferen Verständnis bei.
    »Immerhin ist der Satz zweifelsohne richtig«, sagte Marisa Curzio, die erst vor kurzem zum zweitenmal geheiratet hatte und nach langen Jahren illusionsloser Weltbetrachtung wieder zu wissen glaubte, was Glück war. Allerdings war der Satz gestern und vorgestern und vor zwanzig Jahren genauso richtig gewesen. Er erklärte nicht, wieso einer im Alter von zweiundachtzig Jahren plötzlich beschloß, sein Leben zu ändern.
    Doch man wußte nicht einmal sicher, ob der alte Sgreccia das wirklich beschlossen hatte. Tatsache war, daß er feierte. Er feierte Tag und Nacht, mit einer Energie, die dem klapprigen Greis mit der kaputten Lunge keiner zugetraut hätte. Er suhlte sich in einem Luxus, der Montesecco nur aus dem Fernsehen bekannt war, er gab sich einer unbeschwerten und gerade deshalb besonders befremdlichen Vergnügungssucht hin, er scherte sich nicht im geringsten um das, was der Rest des Dorfs von ihm dachte. Kurz, es war unheimlich, was im Pfarrhaus geschah.
    Und doch zog es alle fast unwiderstehlich auf die Piazzetta, wo sie die tiefblauen Fahnen über dem Pfarrhaus flattern und durch die offenen Fenster das Dienstpersonal geschäftig hin und her laufen sahen, wo sie das Klappern des Geschirrs und das Klicken der Billardkugeln vernahmen, das überraschend tiefe Kichern einer der Edelnutten– Wilma, vermutete Franco Marcantoni –, wenn Sgreccia nach mehr Champagner für seine Täubchen rief.
    Da standen die Dorfbewohner, wenn sie vom Feld kamen oder von der Achtstundenschicht unten im Tal, und schüttelten die Köpfe und fragten sich, aus welchem fernen Universum dieses fremde Raumschiff herangeflogen war. Und wieso es gerade in Montesecco gelandet war. Irgendwann gingen sie nach Hause, setzten sich um den Tisch, aßen einen Teller Pasta, schenkten sich aus der Damigiana ein Glas schlechten Weißweins ein, planten den nächsten Tag, drehten den Fernseher an und später wieder aus. Mehr aus Gewohnheit als wegen der wenigen zu dieser Jahreszeit noch aktiven Stechmücken löschten sie das Licht, bevor sie die Schlafzimmerfenster öffneten, und gingen zu Bett.
    Die gewohnte Nachtbrise flüsterte durch die Gassen, doch dahinter, dazwischen, darüber hörten sie ein fernes Auflachen und Gläserklirren vom Pfarrhaus her, als hätte sich das Leben selbst dorthin geflüchtet. Wie zur Bekräftigung setzte Klaviermusik ein. Rhythmus und Melodie wurden durch den Wind verzerrt, ein wenig nur, nicht so, daß man den Walzer nicht mehr erkannt hätte. Seltsamerweise störten die verwehten Töne nicht, ganz im Gegenteil, sie verliehen der Musik etwas unwirklich Leichtes, als würde sie nicht von einem traurigen Männchen im Frack gespielt werden, sondern entspränge ganz aus sich selbst.
    So muß der Wind in einer Welt der Träume klingen, dachte Antonietta Lucarelli. Sie drehte den Kopf ein wenig nach rechts und fragte leise: »Schläfst du schon?«
    »Nein«, flüsterte Matteo Vannoni zurück.
    »Es
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