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Die Drachen von Montesecco

Die Drachen von Montesecco

Titel: Die Drachen von Montesecco
Autoren: Bernhard Jaumann
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ist ein Walzer«, sagte Antonietta.
    »Ja«, sagte Vannoni.
    »Machst du dir Sorgen wegen Sabrina und Sonia?«
    »Nein.«
    »Sie mögen dich. Es ist nur alles ungewohnt für sie. Laß ihnen ein wenig Zeit!«
    »Ja.«
    Antonietta hörte dem Walzer zu. Der Pianist spielte gut. Beschwingt. Eine Frau lachte fern. Es war dunkel.
    »Weißt du, daß wir noch nie zusammen Walzer getanzt haben?« fragte Antonietta.
    »Ich kann gar nicht tanzen.«
    »Das sagen alle Männer.«
    »Ehrlich!«
    »Du könntest es lernen.«
    Vannoni schwieg. Antoniettas Blick suchte das Fenster. Der Mond war nicht zu sehen, doch ein silberner Schein lag auf dem Dach gegenüber. Darüber blinkten fern ein paar Sterne.
    »Überlegst du noch?« fragte Antonietta zur Seite hin.
    »Was?«
    »Ob du tanzen lernen willst.«
    »Antonietta, es ist Mitternacht vorbei«, sagte Vannoni.
    »Ich weiß«, sagte Antonietta. Die Klaviermusik verklang, man hörte von fern dünnen Applaus, und dann wehte eine Polka durch die Gassen Monteseccos. Und wieder ein Walzer.
    Antonietta hörte, wie Vannoni neben ihr seinen Oberkörper aufrichtete. Sie konnte nichts erkennen, doch sie wußte, daß er sich auf dem Arm abstützte und auf sie heruntersah.
    »Was ist?« fragte sie.
    »Also gut«, sagte Vannoni.
    »Was?«
    Vannoni stieg auf seiner Seite aus dem Bett. »Na, komm schon!«
    »So kommandiert man eine Frau nicht herum«, sagte Antonietta.
    »Darf ich bitten, Teuerste?«
    »Gern.« Auch Antonietta stand auf. Im Schlafzimmer war beim besten Willen nicht genug Platz. So gingen sie in den Salotto hinab, zündeten eine Kerze an und öffnetendie Haustür. Die Nachtbrise wehte im Dreivierteltakt herein, umspülte sie wie ein fremder blauer Fluß. Der Steinboden unter ihren nackten Füßen fühlte sich kühl an. Vannoni legte den rechten Arm um Antonietta. Sie ergriff seine linke Hand, und sie begannen zu tanzen. Einen Walzer.
    »Du hast das Gesicht des schwarzen Manns also nie gesehen«, sagte ich, »aber seine Stimme würdest du wiedererkennen?«
    »Nein«, sagte der Junge.
    »Er hat doch mit dir gesprochen?«
    Der Junge schüttelte den Kopf.
    Aus der Fachliteratur wußte ich, daß Entführer sowenig wie möglich mit ihren Opfern sprachen. Außer bei politisch motivierten Taten. Bekannt ist ja das Stockholm-Syndrom. Davon spricht man, wenn sich die Entführungsopfer mit den Tätern identifizieren, die Tat rechtfertigen und ihre Motive gutheißen. Natürlich war es höchst unwahrscheinlich, daß der Junge einem politischen Extremisten in die Hände gefallen war. Dennoch konnte der schwarze Mann nicht durchgehend geschwiegen haben.
    »Er hat dir doch sicher gesagt, daß du brav sein mußt«, sagte ich. »Daß du dich ruhig hinsetzen und basteln sollst. Wenn du schreist, müßte er dich leider umbringen. Hat er das nicht gesagt?«
    »Doch«, sagte der Junge leise.
    »Dann müßtest du aber seine Stimme kennen.«
    »Ich will heim«, sagte der Junge.
    »Bald! Du mußt verstehen, daß wir das zuerst klären müssen.«
    Der Junge zog die Beine an und legte die Arme um die Knie.
    »Konzentriere dich noch ein wenig!« sagte ich. »Würdest du die Stimme des schwarzen Manns wiedererkennen?«
    »Ich weiß nicht«, sagte der Junge.
    »Beschreibe die Stimme! War sie hoch oder tief, voll oder dünn?«
    Der Junge sah mich an, als wolle er die Antwort von meinem Gesicht ablesen, doch ich konnte ihm nicht helfen. Schließlich hatte der schwarze Mann ihn bedroht, nicht mich.
    »Also?« fragte ich.
    »Ich glaube, ich würde die Stimme nicht erkennen«, sagte der Junge.
    »Wieso nicht?«
    »Weil er seine Stimme verstellte. Er redete mit mir gar nicht wie ein normaler Mensch. Es war eher so ein Fauchen. Als ob er beim Reden Feuer spucken würde.«
    »Wie ein Drache?« fragte ich.
    »Genau.«
    »Verstehe«, sagte ich. Das paßte zu den feuersprühenden Augen, die der Junge beim schwarzen Mann gesehen haben wollte.
    »Kann ich jetzt nach Hause?« fragte der Junge.
    Ich setzte mich neben ihn auf die Decke. Die Wand, an die ich meinen Rücken lehnte, war kalt. Das Seidenpapier hatte der Junge säuberlich aufgeschichtet. Daneben lagen Bambusholzstäbe, Schnur, Bastelschere und Klebstofftube. Ein paar der Stäbe hatte der Junge schon miteinander verbunden. Es sah aus, als versuche er, einen dreidimensionalen Rahmen herzustellen. Vielleicht einen Würfel.
    »Warum bastelst du nicht noch ein wenig?« fragte ich.
    Die Fahnen über dem Pfarrhaus bauschten sich in der steifen Brise. Es wäre ein wunderbarer
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