Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Drachen von Montesecco

Die Drachen von Montesecco

Titel: Die Drachen von Montesecco
Autoren: Bernhard Jaumann
Vom Netzwerk:
Tag für das Windrad gewesen, das Ivan Garzones Bar vom Stromnetz der ENEL unabhängig machen sollte. Autarkie sei das Zauberwort, hatte er gesagt und daran erinnert, daß die Behörden im Vipernsommer ganz Montesecco zwei Tage lang den Strom abgestellt hatten. Zwar habe man sich damals nicht unter Druck setzen lassen, aber zumindest er habe keinen Spaß daran gefunden, in stockdunkler Nachtherumzutappen, zumal das ganze Dorf voller Giftschlangen gewesen sei. Dem hatten die anderen durchaus zugestimmt, ohne deswegen Ivans Windkraftprojekt mitzutragen. Im Gegenteil, da sein selbstgebauter Prototyp einen Heidenlärm veranstaltete, hatten die Dorfbewohner Ivan mit einem zweiwöchigen kollektiven Boykott seiner Bar dazu gezwungen, die Rotorblätter wieder abzubauen. Auf dem Flachdach der Bar stand nur noch das Stahlskelett, an dem das Windrad befestigt gewesen war. Es erinnerte ein wenig an einen fehlgeplanten Bohrturm.
    Ivan war nach wie vor von seinem Projekt überzeugt und tröstete sich damit, daß für jede revolutionäre Idee die Zeit erst reifen müsse. Er hatte sich vorgenommen, kontinuierlich Überzeugungsarbeit zu leisten, doch in den letzten drei Tagen hatte Sgreccias rätselhafte Luxusorgie auch seine Phantasie mehr als alles andere beschäftigt. Ivan stand in der Tür der Bar und sah zum Pfarrhaus hinüber. Irgendwo spülte ein Dienstmädchen Töpfe ab und trällerte dabei vor sich hin, doch sonst war nichts zu hören.
    »Es ist halb sechs. Die können doch nicht noch immer ihren Mittagsschlaf halten«, sagte Ivan. Er kratzte sich am Ellenbogen.
    »Ein Mittagsschlaf mit drei schönen Fräuleins kann sich hinziehen«, sagte der alte Marcantoni. Er hatte sich einen Beobachtungsposten an der Außenwand der Bar gesichert und saß nun auf einem Stuhl zwischen der Tür und der Gasse, die zum Tor hinabführte. Versonnen rührte er in seinem Espresso.
    »Das glaube ich nicht«, sagte Ivan. »Sgreccia ist ein Tattergreis. Nach drei Tagen Rumstata bettelt der darum, daß sie ihn mal in Ruhe lassen.«
    »Das Alter spielt überhaupt keine Rolle. Es kommt darauf an, wie man sich gehalten hat«, nuschelte Franco Marcantoni und ärgerte sich sofort über sich selbst, weil er ganz überflüssigerweise das Alter verteidigt hatte. Schließlich war er fast sieben Jahre jünger als Benito Sgreccia, gehörtealso einer ganz anderen, vergleichsweise jugendlichen Generation an, auch wenn ihm der Arzt wegen seines Blutdrucks und der leidigen Leberwerte vorschreiben wollte, was er zu tun oder zu lassen hatte. Franco Marcantoni starrte auf seinen Espresso, dessen Schaum durch die Löffelbewegungen langsam untergepflügt wurde.
    »Das Schwarze in deiner Tasse, das ist Kaffee«, sagte Ivan von oben herab.
    »Ja und?«
    »Das wird keine Schlagsahne, da kannst du noch soviel rühren.«
    Franco legte den Löffel auf die Untertasse und nippte einmal kurz. Er hatte anderes im Kopf, als sich mit Ivan zu zanken. Wer hätte das dem alten Sgreccia zugetraut? Fast war Franco ein wenig neidisch.
    Ivan wies mit dem Kopf zum Pfarrhaus hinüber. »Mal im Ernst, du meinst doch nicht, daß das normal ist?«
    »Na ja, ungewöhnlich schon«, gab Franco zu. »Andererseits ist es durchaus verständlich, daß einer nach Jahrzehnten harter und entbehrungsreicher Arbeit den Rest seiner Tage genießen will.«
    »Mit drei Nutten aus Rom!« sagte Ivan. Er grüßte zu Matteo Vannoni hin, der mit seinem Enkel gerade um die Ecke der Kapelle bog.
    »Na und?« sagte Franco. »Was ist schon dabei?«
    »Das würde deine Schwester nicht gern hören.«
    »Lidia? Aus lauter Angst vor dem Fegefeuer hat die doch noch keinen einzigen Tag in ihrem Leben wirklich gelebt. Und glaub mir, die wird sich sogar weigern zu sterben. Hundertfünfzig Jahre wird die alt werden, lebt nicht, stirbt nicht, und alles bloß aus Angst vor einem nicht existierenden Fegefeuer.« Franco Marcantoni stellte die leere Espressotasse ab. Er wandte sich Matteo Vannonis Enkel zu und zeigte auf den Papierdrachen, den der Junge mit beiden Händen vor sich trug. »Na, Kleiner, was hast du denn da?«
    »Das ist ein Rokkaku.«
    »Was?«
    »Ein japanischer Kampfdrachen.«
    »Zeig uns doch mal, ob er auch fliegt, Kleiner!« sagte Franco.
    Ivan verschwand in der Bar, um seinen Sohn zu holen, damit die beiden Jungen zusammen spielen konnten, kam aber allein wieder zurück. Gigino hatte keine Lust. Vannoni nickte seinem Enkel zu. Eigentlich sollte er ihn nach Hause bringen, doch auf eine halbe Stunde mehr oder
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher