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Die Drachen von Montesecco

Die Drachen von Montesecco

Titel: Die Drachen von Montesecco
Autoren: Bernhard Jaumann
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die durchs Gitter des Friedhofstors eindrang, kühlere Tage. Einen kaum merklichen Unterton von fallenden Blättern, Morgennebeln und grauem Nieselregen, der bald die Staubstraßen grundlos machen und die Hitze dieses Tages als Lügengespinst entlarven würde.
    Jeder aus Montesecco, der sich auf zwei Beinen halten konnte, war da, und darüber hinaus eine Menge Leute von auswärts. Der Verein der Ex-Minenarbeiter von Cabernardi hatte eine Delegation mit zwei Fahnenträgern geschickt, und natürlich war Benito Sgreccia in Pergola, San Pietro, San Vito und den anderen Orten in der Nähe vielen bekannt gewesen, auch wenn er in der letzten Zeit kaum das Haus, geschweige denn das Dorf verlassen hatte. Wer jedoch wirklich dem Toten das letzte Geleit gebenwollte oder nur aus Neugier gekommen war, das war schwer zu entscheiden. Wie ein Lauffeuer hatte sich herumgesprochen, daß mit dem unscheinbaren Greis der reichste Mann weit und breit gestorben war.
    Durch erfolgreiche Börsengeschäfte habe sein Vater ein Vermögen gemacht, hatte Angelo durchblicken lassen. Das raunte man sich gegenseitig zu, als man hinter den Sargträgern zum Friedhof hinabging, und nicht wenige zogen dabei die Brauen hoch. Benito Sgreccia ein Börsenspekulant? Da hätte man noch eher geglaubt, daß der Alte einen Goldschatz am Ende eines Regenbogens ausgegraben hatte.
    Diese Skepsis war vorauszusehen gewesen, und ebenso klar war Angelo und Elena, daß man sich nach dem Begräbnis die Mäuler zerreißen würde, wie immer sie es gestalten mochten. Betteten sie den Toten in einen Ebenholzsarg mit massiv goldenen Griffen und ließen sie ein Streichorchester antreten, hieße es sofort, daß die Erben sich schon als etwas Besseres vorkämen, noch bevor der alte Benito unter der Erde wäre. Hielten sie sich in der Ausgestaltung der Feierlichkeiten zurück, würde über die Knickrigkeit der Neureichen gelästert werden, die nicht einmal für die Beerdigung des Menschen in die Tasche griffen, der sie ihnen bis zum Rand gefüllt hatte.
    Sie hatten sich für einen Mittelweg entschieden, hatten den zweitteuersten Sarg ausgewählt, das Steinway auf den Friedhof transportieren lassen und statt einer Banda den Pianisten verpflichtet, der Benito Sgreccia in seinen letzten drei Lebenstagen aufgespielt hatte. Jeder im Dorf, den sie um Rat gefragt hatten, hatte dazu beifällig genickt, doch Angelo war sich keineswegs sicher, ob das ernst gemeint war. Vielleicht interpretierte er auch nur seine eigene Unsicherheit in die Reaktionen der anderen hinein. Er war Lastwagenfahrer, hielt Elena und sich mehr schlecht als recht über Wasser, er hatte keine Ahnung, wie man sich benahm, wenn man über Nacht steinreich geworden war,und noch weniger, was Verwandte, Bekannte und Nachbarn von einem Multimillionär erwarteten.
    »Eins nach dem anderen«, sagte Elena. »Wir haben ja das Geld noch nicht einmal. Erst kommt die Beerdigung, dann kommen die ganzen Erbformalitäten, und dann laß uns in Ruhe überlegen!«
    Die Schonfrist, die sich Elena erhofft hatte, lief jedoch aus, kaum daß der Sarg Benitos in die Wandnische geschoben, die Marmorplatte verschraubt und der letzte Segen des Pfarrers gesprochen war. Schon auf dem Weg zurück ins Dorf wurde Elena von Lidia Marcantoni angesprochen.
    Eingedenk des Beispiels, das die drei römischen Damen mit der unaussprechlichen Berufsbezeichnung gegeben hatten, hatte sich Lidia die Frage gestellt, ob man von den Machenschaften des Teufels lernen dürfe, wenn man sie für einen unzweifelhaft gottgefälligen Zweck zu nutzen gedachte. Sie würde auf keinen Fall lügen, sie würde strikt bei der Wahrheit bleiben und diese höchstens ein wenig anders arrangieren. Das konnte doch keine Sünde sein! Ein gewisser Zweifel ob der Rechtschaffenheit ihres Vorhabens blieb, aber sie war zu dem Schluß gekommen, deswegen nicht extra den Pfarrer in Pergola zu belästigen. Notfalls konnte sie im nachhinein immer noch beichten.
    Und so begann Lidia Marcantoni den Charakter des Verstorbenen zu loben, der noch in seinen letzten Lebenstagen neue Kirchenbänke gestiftet habe. Das sei ihr während der gesamten Beerdigung nicht aus dem Kopf gegangen. Ein wahrhaft guter Mensch ist von uns gegangen, habe sie gedacht und die Tränen kaum zurückhalten können. Vielleicht sei sie aber auch vom Spiel des Pianisten so angerührt worden, woran man klar und deutlich sehe, daß ohne Musik selbst der Trost des Glaubens unvollkommen bliebe, so seien die Menschen nun mal
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