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Die Drachen von Montesecco

Die Drachen von Montesecco

Titel: Die Drachen von Montesecco
Autoren: Bernhard Jaumann
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Rückzahlungstermin Montesecco erreichten und dementsprechend sauer waren. Sie krakeelten durchs Dorf und übten sich, als sie Angelo nicht sofort fanden, im Messerwerfen gegen die Kirchentür. Als die Sgreccias zusammenrechneten, blieb ein Rest von sechsundfünfzigtausendsiebenhundertundzwölf Euro übrig. Den ließen sie der Familie des getöteten Privatdetektivs zukommen.
    Trotz leerer Kassen hatte Montesecco ein Festival auf die Beine gestellt, das die Dörfer in weitem Umkreis vor Neid erblassen ließ. Presse und Rundfunk hatten bei der Werbung mitgespielt, so daß der Besucherandrang enorm war. Bis aus Pesaro und Ancona waren die Leute angereist. In den engen Gassen fühlte man sich an einen Sonntagnachmittag in den fünfziger Jahren erinnert, als die Mine von Cabernardi noch arbeitete und Montesecco zigmal so viele Einwohner wie jetzt zählte. Dabei befand sich die Masse der Besucher nicht im Dorf selbst, sondern draußen auf dem sanft abfallenden Feld, wo Ivan Garzone einst seine Windkraftanlagen errichten wollte.
    Dort war der Weitflugwettbewerb in vollem Gang. Nur wer sich offiziell registriert und die Startgebühr von zehn Euro bezahlt hatte, durfte im vorderen Teil zu Werke gehen. Doch auch über dem Bereich hinter der Barriere, an der Milena Angiolini und ein Schwarzafrikaner namens Mamadou kontrollierten, flimmerte die Luft von bunten Drachen, die von den Zuschauern steigen gelassen wurden. Die unterschiedlichsten Formen vom klassischen Cometa über Kokarden bis zu stablosen Mattendrachen und dreidimensionalen Eigenkonstruktionen gab es da zu sehen.
    Fledermausartige Minidrachen kurvten um Großgebilde, deren Spannweite einem Albatros in nichts nachstand. Billige Strandplastikware knatterte gegen handbemalte Paradiesvögel an, strenge Rundkreisel segelten neben einem Schwarm Libellen, deren freibewegliche, überlange Flügel die Luft peitschten. Eine Kette aus Mutterdrachen und zwanzig kleineren watschelte in den Himmel, als wäre sie eine Entenfamilie. Von einem Drachen hoch oben blickte ein Che-Guevara-Porträt streng auf einen Plastikfolienautobus herab, der sichtlich unwillig durch die Lüfte fuhr und bei seinen dauernden Beinahe-Abstürzen spitze Schreie des bedrohten Publikums auslöste.
    Im Wettkampf maßen sich ausschließlich ungelenkte Flachdrachen. Bis weit jenseits des Feldes und über die Weinberge der Fattoria Montesecco hinaus waren die besten vorgedrungen. Sie schienen sich schon dem Monte Catria anzunähern, dessen Silhouette sich scharf in der klaren Frühlingsluft abzeichnete. Die kleinen bunten Pünktchen in der Ferne zeigten seltsam schwebende, scheinbar eigenständige Bewegungen, fast wie Fische in tiefem Wasser oder Mikroben, deren Gewusel man durch ein Mikroskop beobachtet. Im Startbereich glänzten die Leinen im Sonnenlicht. Welche von ihnen zu welchem Drachen führte, war nicht festzustellen, da sie in einiger Entfernung in der Luft verschwammen. Es sah aus, als hätte der Himmel Rettungsleinen ausgeworfen, an die sich die Piloten der Drachen klammerten.
    Doch nicht alle Drachen hatten sich in der Luft halten können. Ein paar waren in den großen Steineichen am unteren Ende des Felds gestrandet. Sie hingen in den Ästen wie vollgefressene Geier, die nur müde lächelten über die Bemühungen ihrer Besitzer, sie durch Rütteln an der Leine wieder freizubekommen. Am Mikrofon der Lautsprecheranlage kommentierte Ivan Garzone ihr Schicksal im aufgeregten Tonfall eines Fußballreporters. Ab und zu unterbrach er, um die Sponsoren zu erwähnen, die dieses wunderbare Ereignis möglich gemacht hätten. Marisa Curzio suchte indessen mit dem Feldstecher herauszufinden, welcher Teilnehmer des Weitflugwettbewerbs in Führung lag.
    Donato Curzio und die Sgreccias spazierten über das Areal nebenan, wo die Drachen für die Schönheitskonkurrenz vorbereitet wurden. Die drei bildeten die Jury und taten so, als wollten sie sich schon einmal einen Eindruck von den aussichtsreichsten Kandidaten verschaffen. Dabei stand der Ausgang des Wettbewerbs längst fest. Selbst wenn er nur ein Papiertaschentuch steigen ließe, würde Minh einstimmig zum Sieger gekürt werden. Schließlich hatte man das Festival nur seinetwegen veranstaltet. Nagut, man wollte auch Montesecco voranbringen, und wenn ein kleiner persönlicher Nebenverdienst heraussprang, würde dazu sicher keiner nein sagen. Aber das Thema der Veranstaltung hatte man ja nicht zufällig gewählt. Drachen waren nun mal Minhs große Leidenschaft,
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