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Die Drachen von Montesecco

Die Drachen von Montesecco

Titel: Die Drachen von Montesecco
Autoren: Bernhard Jaumann
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und wenn sonst nichts half, schaffte man es vielleicht auf diese Weise, die Schreckensbilder aus seinem Kopf zu verdrängen.
    Immer noch fuhr Catia zweimal pro Woche mit Minh nach Padua. Obwohl der Professor dort ein ausgewiesener Spezialist war und in ganz Italien als Koryphäe galt, hatte er es bisher genausowenig wie Catia und Matteo Vannoni geschafft, zu Minh durchzudringen. Der Junge verhielt sich zwar unauffällig, verkroch sich nicht mehr als zuvor, antwortete meist auf die Fragen, die man ihm stellte, wirkte aber freudlos und fast gebrochen, wenn er nicht gerade einen Drachen durch die Luft manövrierte. Ansonsten schien er von einem Panzer umgeben, der alles abwehrte, was in sein Inneres zielte, und ebenso wenig herausdringen ließ. Ob Gespenster in ihm tobten, Erinnerungen sich gegenseitig metzelten oder alles tot und wüstenleer lag – man wußte es nicht.
    Wenn man ihn auf die Ereignisse des vergangenen Herbstes direkt ansprach, wiederholte er steif und fest, von einem schwarzen Mann, den er letztlich getötet habe, entführt worden zu sein. Mit immer gleichen Worten schilderte er Tat und Täter, beharrte auf den drachenähnlichen Zügen, mit denen er ihn ausgestattet hatte, und war nicht bereit, irgendeine Verstrickung Sabrina Lucarellis einzuräumen. Allen war klar, daß sie ihm diese Märchen während seiner Gefangenschaft eingehämmert hatte, doch was sollte man machen, wenn Minh auch das energisch abstritt? Man müsse Geduld haben und beharrlich weiterarbeiten, meinte der Psychologe, irgendwann würde der Knoten schon platzen.
    »Hoffentlich rechtzeitig«, hatte der Staatsanwalt in Pesaro gemurmelt.
    »Was soll das heißen?« hatte Catia gefragt.
    Der Staatsanwalt hatte seine Brille abgesetzt. »Sie wissen, daß unsere Behörde chronisch unterbesetzt ist. In diesem Fall hat es ausnahmsweise sein Gutes, daß wir total überlastet sind, aber irgendwann werden wir doch Anklage erheben müssen.«
    »Das hoffe ich sehr!«Catia hatte nicht begriffen, worin das Problem bestand, und auch später wollte sie nicht wahrhaben, daß die Anklagebehörde den Ausgang des Prozesses für äußerst unsicher hielt.
    Sabrina Lucarelli hatte anfangs die Aussage verweigert und stritt inzwischen jede Beteiligung an der Entführung ab. Sie sei unterwegs gewesen, habe zufällig den roten Drachen gesehen und den Jungen höchstens eine Viertelstunde vor den anderen gefunden. Das Messer habe der Junge in der Hand gehalten. Sie habe es ihm abgenommen, und er habe ihr gestanden, im Haus einen Mann umgebracht zu haben. Natürlich habe sie ihm erst nicht geglaubt, dann aber doch nachkontrollieren wollen. Der Schlüssel habe im Schloß der Vorhängekette gesteckt. Daß sie ihn in ihre Jackentasche geschoben habe, könne sie sich nur durch den Schock erklären, der durch die Entdeckung des Blutbads in dem verlassenen Haus ausgelöst worden war. Völlig panisch sei sie darin herumgetappt. Deswegen könne es durchaus sein, daß ihre Fingerabdrücke an verschiedenen Stellen zu finden wären. Dann habe sie das Handy auf dem Fußboden entdeckt. Daß es vielleicht nicht dem Toten gehören, sondern dasselbe sein könnte, das Gianmaria Curzio abhanden gekommen war, sei ihr erst klargeworden, als Curzio sie später danach gefragt habe. Auf jeden Fall habe sie das Handy aufgehoben, um Hilfe herbeizurufen. Ihr seien aber die Tasten vor den Augen verschwommen, sie sei aus dem Haus gelaufen und habe sich, da ihr schwindlig war, ins Gras gelegt. Kurz darauf seien die anderen eingetroffen und hätten sie, die noch völlig außer sich war und gar nicht wußte, wie ihr geschah,der Entführung des Jungen bezichtigt. Natürlich sei das absolut lächerlich, sie habe sich immer blendend mit dem Jungen verstanden und wäre nie in der Lage, ihm ein Leid anzutun.
    Das schwor sie auch Antonietta, die ihre Tochter einmal pro Woche in der Untersuchungshaft besuchen durfte. Sie war jedesmal wie erschlagen, wenn sie nach Montesecco zurückkehrte. Nur Matteo Vannoni vertraute sie an, daß sich dabei immer das gleiche abspielte. Die ganze Woche über redete sie sich zu, daß sie Sabrina vertrauen müsse. Sie war ihre Mutter, sie hatte sie erzogen, sie kannte sie. Noch auf dem Weg nach Pesaro war sie überzeugt, daß Sabrina nie ein solches Verbrechen begangen haben konnte, doch sobald sie ihrer Tochter an der Schranke des Besucherraums gegenübersaß, war diese Sicherheit plötzlich verflogen. Dabei verhielt sich Sabrina wie immer, sprach ruhig und gefaßt, wich
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