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Die Doppelgängerin

Die Doppelgängerin

Titel: Die Doppelgängerin
Autoren: Stefan Wolf
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bitte!“
    Gaby sagte: „Oh!“ Denn in diesem Moment
wurde ihr bewußt, daß sie hinten herum nicht ganz salonfähig war. Rasch deckte
sie beide Hände über die Blöße.
    Rückwärts, mit Blick auf die Jungs,
ging sie dann zur Tür. Dort blieb sie stehen.
    „Oskar! Komm! Ins Körbchen!“ Sie pfiff,
obwohl der schlappohrige Vierbeiner bereits vor ihr saß und sie anhimmelte. Zu
den Jungs gewandt, meinte sie: „Ihr könnt jetzt verschwinden. Ich ziehe mich
um. Dann fahre ich in die Stadt. Erstens habe ich etwas für meine Mami zu erledigen.
Zweitens treffe ich Inge. Wir sehen uns morgen beim Unterricht.“
    Sprach’s und verschwand — immer noch
rückwärts gehend — samt Oskar im Flur.
    „Uff!“ stöhnte Klößchen. „Ich glaube,
mein Spaß war ein Fehler.“
    „Darauf kannst du Gift nehmen.“
    „Aber sie ist mir nicht mehr böse.“
    „Sei froh!“
    „Das bin ich, Kruzifix!“ Klößchen
nickte dreimal — wie jemand, der glaubt, er sei endlich weise geworden.
    „Gehen wir“, sagte Tarzan, „bevor sie
dir oder mir doch noch eine schmiert. Auf dem Speicher im Hauptgebäude kannst
du soviel Superkleber auf den Boden tupfen, wie du willst.“

3. Die feindlichen Brüder
     
    Oskar fraß seine Schüssel leer, grunzte
zufrieden, legte sich ins Körbchen und schlief ein.
    Gaby ging durch die Diele in ihr
Zimmer, wo die zerrissenen Jeans über einem Stuhl hingen.
    Nur noch als Putzlappen zu gebrauchen!
dachte sie. Klößchen, dieser Tölpel! Na ja, er hat’s nicht böse gemeint.
Manchmal denkt er eben nur bis zur Nasenspitze.
    Sie zog ihren weißen Faltenrock an,
band das Haar mit einer Schleife zusammen, prüfte im Spiegel ihren Anblick und
konnte sicher sein, daß kein Junge sie übersah. Aber darauf legte sie’s nicht
an. Sie war weder eingebildet noch affig, nur gerade so eitel, wie es sich für
ein 13jähriges Mädchen gehört.
    Oskar schnarchte.
    Gaby schloß die Wohnung ab, lief
hinunter in den Laden und sagte ihrer Mutter, daß sie jetzt in die Stadt fahre.
    „Vergiß das Rezept nicht, Gaby.“
    „Habe ich mit, Mami. Bis gleich.“
    Das Rezept steckte in ihrer
Umhängetasche. Es betraf Augentropfen für Oskar. Aus der Apotheke wollte sie
die holen. Oskars linkes Augenlid war — vermutlich durch Zugluft — etwas
entzündet.
    Sie stieg auf ihr Klapprad, fuhr zur
Marienapotheke und besorgte die Augentropfen.
    Der Apotheker war jung, verschlang Gaby
mit Blicken und gab ihr versehentlich zehn Mark zuviel raus.
    „Oh, vielen Dank. Sehr nett!“ freute er
sich, als sie den Irrtum berichtigte. Dann bot er ihr aus einer großen
Gratisdose eingewickelte Pfefferminzbonbons an.
    Aber sie lehnte dankend ab und sagte,
sie achte auf ihre Zähne.
    Sie fuhr weiter zum Eselsbrunnen, wo
sie mit Inge Selbmann verabredet war. Inge wartete schon.
    Sie saß, schlank und schlacksig, am
Brunnenrand, zeichnete mit einem Stückchen Striche in den Staub und wirkte so
fröhlich wie ein Begräbnisunternehmer während der Geschäftszeit.
    „Hallo, Inge!“ Gaby lehnte ihr Rad an
den Brunnen. „Wartest du schon lange? Was ist denn? Bist ja so miesepeterig.“
    Inge lächelte kläglich. „Ach, weißt du
— es kann einem wirklich die Laune verderben, wenn man immer wieder merkt,
wieviel vom Geld abhängt. Damit meine ich nicht, daß man reich sein müßte — um
glücklich zu sein. Das ist Blödsinn. Denn die meisten Reichen sind vor lauter
Sorge um ihr Geld kreuzunglücklich. Aber das Nötigste, weißt du, das braucht
man doch.“
    Gaby nickte, setzte sich neben ihre
Freundin und legte einen Arm um deren Schultern.
    „Und das Nötigste — ihr habt es nicht?“
    Inge schnüffelte. „Nächsten Monat
machen wir die Klassenfahrt. Ganz toll. Nach Florenz — mit unserer
Kunstlehrerin. Was man dort an Kunstwerken besichtigen kann — also, mich würde
es brennend interessieren. Aber die Fahrt wird teuer. Zu teuer für meine
Eltern! Ich kann nicht mit.“
    „Das tut mir leid. Aber gibt es da
nicht irgendwelche Zuschüsse?“
    „Das ist nur ein Tropfen auf den heißen
Stein. Es reicht trotzdem nicht.“
    Schlimm! dachte Gaby. So eine
Enttäuschung tut weh. Inge trug ihr langes, dunkles Haar offen. Wenn sie es zum
Zopf flocht, war sie auf geringe Entfernung von Bärbel Zonker - dem anderen „Zwilling“
— nicht zu unterscheiden: die gleiche Größe, die gleiche Figur, das gleiche
Oval des Gesichts — nur daß Inges Augen nicht ganz grün, sondern graugrün
waren. Trotzdem: Bärbel hatte in Inge eine Doppelgängerin,
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