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Die Doppelgängerin

Die Doppelgängerin

Titel: Die Doppelgängerin
Autoren: Stefan Wolf
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oder — wie man
wollte — Inge in Bärbel.
    „Eigentlich“, sagte Inge, „müßte es uns
gutgehen. Finanziell, meine ich. Wenn es nur ein bißchen Gerechtigkeit gäbe,
wäre mein Vater wohlhabend.“
    „Du hast es schon angedeutet“, nickte
Gaby. „Es geht um die Erbschaft, nicht wahr? Ich habe mir einen juristischen
Ratgeber gekauft und über Erbrecht gelesen. Aber das ist ein so verschrobenes
Deutsch in verschachtelten Sätzen — daraus wird man nicht klug.“
    „Unser Fall liegt ganz einfach“, sagte
Inge. „Es geht nur darum, daß mein Vati seinen Anspruch nicht beweisen kann.“
    „Aha!“
    Gaby holte zwei Äpfel aus ihrer Tasche.
Einen gab sie Inge, den größeren.
    „Danke.“ Inge biß gleich hinein. „Weißt
du — mein verstorbener Großvater Paul Cornelius Selbmann war Baumeister. Und
sehr reich. Ihm gehörten zig Grundstücke und Miethäuser hier in der Stadt. Er
soll sehr hartherzig gewesen sein. Als Mensch sicherlich ein Brechmittel. Aber
er konnte Geld scheffeln. Das konnte er. Und Hartmut Amadeus ist sein älterer
Sohn.“
    „Ist das der habgierige Onkel, von dem
du schon erzählt hast?“
    Inge nickte. „Jetzt erzähle ich dir
alles. Und der Reihe nach. Damit du verstehst, wie das in unserer Familie
gelaufen ist. Du, der Apfel schmeckt prima. Ist toll saftig.“
    „Aus unserem Geschäft“, erklärte Gaby
stolz. „Meine Mami ist sehr bemüht, daß sie immer ganz frisches Gemüse und Obst
kriegt. Die Kunden maulen schon, wenn an einer Tomate mal eine klitzekleine
Stelle ist. Hartmut Amadeus Selbmann — der Amadeus paßt nicht, finde ich. Ein
blöder Name.“
    Inge lachte verschmitzt. „Er
unterschreibt auch immer nur Hartmut A. Selbmann. Wahrscheinlich, damit ihn
niemand mit Mozart verwechselt. Er spielt nämlich gern Klavier.“
    „Das ist von Mozart bekannt.“
    „Ich meine Hartmut.“
    „Ich weiß.“
    Beide lachten so laut, daß Passanten zu
ihnen herblickten.
    „Hartmut A.“, fuhr Inge fort, „ist zehn
Jahre älter als mein Vati und war schon als Junge ein ziemlicher Tunichtgut.
Der Großvater hielt nicht allzuviel von ihm — um so mehr aber von seinem
zweiten Sohn Werner Albrecht. So heißt mein Vati. Doch dann — ein halbes Jahr
vor Großvaters Tod — kam es zu einem schweren Zerwürfnis. Großvater wurde eine
wertvolle Sammlung Goldmünzen gestohlen. Nicht von Einbrechern, sondern
offensichtlich von jemandem, der zum Hause gehörte. Und da war die Auswahl
nicht groß. Unter einem Dach wohnten damals: Großvater, Hartmut, mein Vati, die
Köchin, ein Hausmädchen und der Gärtner. Doch alles wies darauf hin, daß nur
einer die Goldmünzen genommen haben konnte: mein Vati.“
    „Aber er war’s nicht.“
    „Natürlich nicht. Die Verdächtigung
machte ihn so wütend, daß er einen schlimmen Zank verursachte. Großvater war damals
schon ein bißchen verkalkt und sehr starrsinnig. Nachgegeben hat er nie. Es kam
dann — wie gesagt - zum totalen Zerwürfnis. Mein Vati verließ das Haus und
suchte sich, völlig mittellos, eine neue Bleibe. Er war erst 18, ging noch zur
Schule, hörte aber sofort damit auf und arbeitete zunächst alles Mögliche, nur
um sich durchzubringen. Denn von seinem unversöhnlichen, hartherzigen Vater
hatte er nichts zu erwarten. Im Gegenteil. Der Alte änderte sofort sein
Testament. Er bestimmte, daß Hartmut A. Alleinerbe wird — also alles kriegt,
mein Vati hingegen nichts. Mit der Begründung, er — mein Vati — hätte ihn
bestohlen und sei ohne Erlaubnis ausgezogen.“
    „O weh!“ meinte Gaby. „So was passiert
aber nur, wenn zwei Dickschädel aufeinander stoßen. Sonst findet sich doch
immer ein Weg, um einen Irrtum zu klären.“
    „Das stimmt. Vati geht auch mit dem
Kopf durch die Wand. Das ist das einzige, was er von seinem Vater geerbt hat.
Aber, halte dich fest!, nun kommt’s: Als mein Großvater im Sterben liegt — als
sein letztes Stündlein anbricht, klärt sich plötzlich alles auf. Der Gärtner — ein
gewisser Weyrauch — steht vor ihm. Mit den Goldmünzen. Zitternd und bebend
gesteht er, daß er die Goldmünzen entwendet hat. Aber nicht, um sie zu
behalten, sondern um sie zu leihen. Der Trottel hat nämlich Geld gebraucht für
seine Schwester, die ein kleines Geschäft eröffnen wollte. Was macht dieser
beschränkte Mensch? Er versetzt Großvaters Goldmünzen in einem Pfandhaus, borgt
seiner ahnungslosen Schwester das Geld und tut so, als wäre es sein Erspartes.
Gerade noch rechtzeitig vor Großvaters Tod war die
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