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Die Doppelgängerin

Die Doppelgängerin

Titel: Die Doppelgängerin
Autoren: Stefan Wolf
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Schwester in der Lage, ihrem
Bruder das Geld zurückzuzahlen. Sofort löste der die Goldmünzen aus und brachte
sie — von Gewissensbissen weich gekaut — dem sterbenden Cornelius.“
    „Da ist man ja fassungslos.“ Gaby
schüttelte den Kopf.
    „Besonders über Großvaters Verhalten“,
sagte Inge. „Denn der zeigte zum ersten und letzten Mal, daß er nicht nur
Fischblut in den Adern hatte. Großmütig verzieh er dem Weyrauch. Behauptete
sogar, er hätte ihm das Geld doch jederzeit geborgt. Was er natürlich nie getan
hätte. Dann ließ er meinen Vati holen. Er und Hartmut A. standen am Sterbebett.
Alles hatte sich aufgeklärt. Mein Vati war gerechtfertigt. Und Paul Cornelius
erklärte sein Testament für ungültig. Beide Brüder sollten sich den Besitz
teilen. Um den Notar, bei dem das Testament hinterlegt war, zu verständigen — dazu
reichte die Zeit nicht mehr. Der Tod war schneller. Aber Großvater starb in dem
beruhigenden Gefühl, mit seinem jüngeren Sohn versöhnt zu sein — und daß beide
für immer ausgesorgt hätten.“

    Aus aufgerissenen Augen sah Gaby die
Freundin an. „Jetzt... gibt es eigentlich nur noch eine Möglichkeit. Aber...
ich kann das nicht glauben! Unter Brüdern?“
    „Ja, unter Brüdern“, nickte Inge. „Blutbande
nützen da wenig, wenn der eine ein Lump ist. Es kam dann so: Nachdem Großvater
gestorben war, wußte Hartmut A. von nichts. Er leugnete, daß Großvater das
Testament in seiner letzten Stunde überhaupt erwähnt hätte. Und vom Teilen sei
schon gar nicht die Rede gewesen. Großvater hätte meinen Vati nur deshalb
gerufen, um den mißratenen Sohn noch einmal zu ermahnen. Andere Zeugen für
Großvaters allerletzten Willen gab es nicht. Der Gärtner Weyrauch war plötzlich
verschwunden. Wobei anzunehmen ist, daß Hartmut A. ihn mit Geld versorgt und
weggeschickt hat. Denn sonst hätte der vielleicht zu Vatis Entlastung
beigetragen. Die Goldmünzen verschwanden zum zweiten Mal. Das Testament trat in
Kraft. Hartmut A. erbte alles, mein Vati nichts. Ja, Gaby, so kann das zugehen
— bei feindlichen Brüdern.“
    „Unglaublich — diese Gemeinheit. Aber
warum?“ überlegte Gaby. „Steckt nur Habgier dahinter? Vielleicht haßt er deinen
Vati?“
    „Keine Ahnung. Das heißt — ja,
vielleicht weil Großvater meinen Vati lieber mochte, ihn immer vorgezogen hat,
den Jüngeren. Jedenfalls bis zu dem Zerwürfnis.“
    „Wann starb dein Großvater?“
    „Vor 18 Jahren.“
    „Eine lange Zeit. Und keine Versöhnung?“
    „Vati und Hartmut A. haben seitdem kein
Wort miteinander geredet.“
    Gaby schauderte. „Es gibt Dinge — die
wollen einem nicht in den Kopf.“
    „Tja! mein Vati hat eigentlich immer
nur Pech gehabt. Lange Zeit war er so enttäuscht und mutlos, daß er sich zu
nichts aufraffen konnte. Dann lernte er meine Mutti kennen. Er hatte auf dem
Bau gearbeitet — als Maurer, erlitt einen Unfall und behielt so schwere Schäden
an der Wirbelsäule zurück, daß er umsatteln mußte. Er wurde Masseur. Sie
heirateten. Ich wurde geboren. Na ja! und bis voriges Jahr ging es uns recht
gut. Aber dann schlugen die sogenannten Spätschäden an der Wirbelsäule voll
durch. Mein Vati kann seitdem nicht mehr arbeiten. Er ist noch keine 37 Jahre
alt, aber schon Invalide (Arbeitsunfähiger). Wenn du ihn siehst, merkst
du ihm nichts an. Doch bei der geringsten Belastung macht sein Rücken nicht
mehr mit. Zur Zeit läßt er sich zwar umschulen. Er lernt Buchhalter. Aber die
Aussicht, eine Stellung zu finden, ist äußerst gering. Hinzu kommt, daß er viel
liegen muß. Er könnte ohnehin nur halbtags arbeiten. Wir leben jetzt von der
Invalidenrente. Und das ist nicht viel. Bitter, bitter, Gaby. Vor allem, wenn
man sich vorstellt, daß mein Vati in einem reichen Haus aufgewachsen ist — und
daß ihm rechtmäßig die Hälfte von dem zusteht, was Hartmut A. besitzt.“
    Eine Weile saßen beide stumm
nebeneinander.
    Hinter ihnen plätscherte das Wasser im
Eselsbrunnen. Bienen summten über den Blumenbeeten, die — in Beton gefaßt — die
beiden Fahrstreifen trennten.
    Ein betrunkener Penner schlief im
Schatten eines Hauseingangs. Inge kritzelte wieder mit ihrem Stöckchen im Staub
herum. Sie dachte an Florenz, an die Klassenfahrt — und wie herrlich es wäre,
dabei zu sein.
    Gaby blies gegen den goldblonden Pony,
der ihr wieder mal recht tief in die Blauaugen hing.
    „Mich wundert, Inge, daß Unrecht so gut
gedeiht. Über euch lädt das Schicksal das ganze Unglück ab. Und
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