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Die Depressionsfalle

Die Depressionsfalle

Titel: Die Depressionsfalle
Autoren: Wilhelm Braumüller <Wien> , Alfred Springer
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unter der psychiatrischen Diagnose „Depression“ eine bedrückte, qualvoll erlittene, von Unlust begleitete und von Angst gezeichnete Befindlichkeit verstanden. Diese führt bei den Betroffenen zum Erleben einer Zeitverlangsamung oderdes Zeitstillstands, zur Hemmung der Erlebens- und Erkennungsfunktionen, zu einer schmerzlich erfahrenen Behinderung jeglichen Fühlens und Mitfühlens – Depression wurde auch als Krankheit an der Liebesfähigkeit bezeichnet –, zu einem Versiegen oder zu einer quälenden ziellosen Aktivierung von Energie, zu einem verfremdeten Versagen jeglicher Energie oder zu einer heillos erlebten ungezielten Agitation. Dementsprechend konnte vor 25 Jahren Raymond Battegay, ein erfahrener Kliniker, als krankhafte Form einer negativen Gemütslage dieses Bild beschreiben, das einem Erscheinungsbild entspricht, das in alter psychiatrischer Literatur als „Melancholie“ beschrieben wurde.
    Besonders quälend sind in psychischer Hinsicht ein massiver Einbruch des Selbstwertgefühls und ein heftiges Schulderleben („ich bin nichts, ich kann nichts, man mag mich nicht und schuld bin ich auch noch an allem selber“); diese Symptome können in schweren Fällen in ein psychotisches Geschehen münden, das durch zunehmenden Realitätsverlust, Wahnbildung und Halluzinationen charakterisiert ist. Zusätzlich kompliziert wird dieses seelische Zustandsbild von körperlichen Begleiterscheinungen:
    â€¢ Störungen des Biorhythmus
    â€¢ Schlafstörungen (Ein- und Durchschlafstörungen und Früherwachen mit einem „Berg auf der Brust“ und Panik vor dem kommenden Tag)
    â€¢ Stimmungstief am Morgen mit abendlicher Aufhellung („Morgengrauen“, „morgendliches Pessimum“)
    â€¢ Herzrhythmusstörungen, Appetitstörungen, Verdauungsstörungen (meist Verstopfung), Sekretionsstörungen (trockener Mund, „tränenloses Weinen“), Störungen des sexuellen Interesses und der sexuellen Funktion
    Eine endogene oder auf anderer Ursache aufbauende, hochgradige, schwere Depression war also an einigen Merkmalen zu erkennen, die eine mehr oder minder eindeutige Zuordnung ermöglichten. Der Psychiater und Psychoanalytiker Karl Landauer hat bereits 1939 im
Psychoanalytischen Volksbuch
das paradigmatische Bild einerklinischen Depression entworfen. Er vermerkte, dass die Bezeichnung „Niedergedrücktheit“ die körperliche und seelische Haltung des Kranken gut beschreibt. Die wesentliche Eigentümlichkeit ist der Rückzug aus der Umwelt, der Verlust jeglichen tieferen Interesses. Die Umwelt – mitsamt dem an ihr hängenden Körper – wird als liebesleer und schattenhaft wahrgenommen. Sie ist nicht mehr erlebenswert. Der Kranke hat sich „eingestülpt“. Als ausgeprägteste Form dieses Rückzugs von der Welt kann der Schlaf gelten. Tatsächlich gibt es viele Menschen, die ihren Schmerz „auszuschlafen“ versuchen, und manche Depressionen verlaufen unter dem Bild eines Dauerschlafs.
    Wir wollen Landauers zeitlose Darstellung in extenso übernehmen: „Da erwacht eines Morgens der Mensch, fühlt sich müde, traurig. Jede Bewegung ist ihm leid. Er will kaum die Augen öffnen. Sie brennen ihn und scheuen das Licht; es blendet ihn. Er kann kaum auf Fragen antworten; sie belästigen ihn; er spricht leise, brummt etwas vor sich hin. Tränen kommen ihm; dabei weiß er kaum, dass er weint, nicht warum er weint. Er bringt keinen Bissen hinunter. Die Kehle ist ihm wie zugeschnürt. Ein fader Geschmack, ein klebriges Gefühl liegt auf der Zunge. Oft stößt es ihm auf, nach faulen Eiern, geschmacklos. Manchmal kommen auch Speisen von gestern herauf, faulig oder säuerlich schmeckend. Zwingt man den Kranken zum Essen, so liegt ihm alles schwer im Magen, weil wenig Speichel und Magensaft gebildet wird. Es würgt ihn, er erbricht. Dabei reizt der klebrige Geschmack im Munde zum ständigen Schlucken, und so kommt oft viel Luft in Magen und Därme, was Anlass zu viel körperlichen Beschwerden und zu zahlreichen seelischen Reaktionen gibt. Der Stuhl ist krampfhaft angehalten, oft auch der Urin; sie verursachen krampfhafte Schmerzen im Leib und ziehende im Kreuz. Winde quälen ihn, oft solche ohne Geruch. Manchmal kommt es zu Durchfällen, da die Speisen infolge des fehlenden Magensaftes sich zersetzen, oft im jähen Wechsel mit Verstopfung.
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