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Die Daemonen 02 - Freiheit oder Finsternis

Die Daemonen 02 - Freiheit oder Finsternis

Titel: Die Daemonen 02 - Freiheit oder Finsternis
Autoren: Tobias O. Meissner
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danken, indem er ihn daran teilhaben ließ.
    Und warum ausgerechnet diese Kapelle? Das fragte ihn seine Frau jedes Mal, wenn er wieder das Maultier bepackte und zu der beschwerlichen dreitägigen Reise aufbrach. Weshalb nicht eine der neu errichteten Kirchen im Dorf oder im nahe gelegenen Äußeren Schloss?
    Eben weil diese Kapelle nicht nahe lag. Sie war der den Dämonen am weitesten entgegengeführte Vorpostender Menschlichkeit. Sie war ein winziges, von Weitem unbeträchtlich wirkendes Symbol, das auf Dirgin Kresterfell jedoch schon als Knabe großen Eindruck gemacht hatte. Denn genauso winzig und unbeträchtlich wie diese Kapelle waren ihm vor einundzwanzig Jahren sein Glauben und seine Hoffnung im Angesicht des lodernden Weltenbrandes vorgekommen. Und dennoch hatten der Glaube und die Hoffnung sich mit Gottes Hilfe gegen den Wahnsinn behauptet.
    Er entzündete zwei Lichterchen, eines für sich und eines für Lehenna, und stimmte ein uraltes Lied an. So lasset uns in Demuth sein, im Lichte Gottes mildem Scheyn, so lasset uns gedencken der Schrecken und Geschencken. Von draußen rüttelte der Wind an den Schindeln des kleinen Daches, aber Dirgin Kresterfell ließ sich nicht beirren. Beinahe zwei Tage hatte er wandern müssen, nun wollte er sich auch zwei Stunden Zeit nehmen, die vergangenen Monate in der Rückschau zu betrachten und das, was sie ihm und seiner Tochter an Lebenswertem eingebracht hatten.
    Ein eigenartiges, reißendes Geräusch unterbrach seine Erinnerungen. Zuerst wollte Dirgin Kresterfell sich gar nicht in seiner Andacht stören lassen. Doch dann kam ihm der Gedanke an sein Maultier, das schon fransig gewetzte Zaumzeug, den Sturm und den Regen. Falls das Tier sich losgerissen hatte, panisch geworden in unmittelbarer Nähe des Schlundes, würde Dirgin Kresterfell ein mühseliger Rückweg bevorstehen, ohne Wasser, Vorrat und Gesellschaft, bei diesem grässlichen Wetter. Aber wenn er sich beeilte, konnte er das Tier sicherlich noch einfangen, denn ohne menschliche Führung geruhte es, nach einigen Schritten wildem Galopp immerschnell wieder stehen zu bleiben und sich ratlos umzublicken.
    Er bat den einzigen wahrlich überdauernden Gott um Verzeihung, schlüpfte in den Mantel, den er hier drinnen abgelegt hatte, und trat durch die schmale Tür ins Freie.
    Das Maultier war immer noch an der Säule angebunden, die Zügel hielten, obwohl das Tier unruhig war, den Kopf hin und her warf und nervös die Augen verdrehte. Wahrscheinlich würde es bald zu donnern und blitzen beginnen, bei solcher Witterung wurde jedes Tier schwer zu bändigen.
    Aber wenn die Zügel noch immer heil waren, was war das dann für ein Geräusch gewesen?
    Dirgin Kresterfell kniff gegen den anstürmenden Regen die Augen zusammen und blickte sich um. Dann sah er es. Das Bannseil, das den Dämonenschlund in seinem ganzen Rund umgab als ein mit Sprüchen und Flüchen behängter Zaun, war gerissen und lag in Richtung auf die Kapelle schlaff zwischen zwei Pfählen auf der Erde. Gerissen durch die Einwirkung des Windes? Zermürbt vielleicht vom schon seit Tagen allem und jedem in die Poren kriechenden Regen? Das kam Dirgin Kresterfell eher unwahrscheinlich vor, schließlich wurde das Seil jetzt unter Baron Serachs aufmerksamer Hand alle zwei Jahre erneuert. Und weshalb war das Seil ausgerechnet in Richtung der Kapelle gerissen? Weil sich dort der Wind am eigentümlichsten brach? Oder war dies ein Zeichen Gottes, eine direkte Reaktion auf sein, Dirgin Kresterfells, Opfer und seinen Lobgesang? Man hatte ja schon gehört, dass jemand ein Trinkglas zersingen kann – aber ein Seil?
    Jedenfalls brauchte Dirgin Kresterfell nicht lange zu überlegen, was zu tun war. Gott gab ihm einmal mehr die Gelegenheit, ein den Menschen wohlgefälliges Werk zu tun. Er war als Einziger vor Ort, als das Bannseil riss. Also würde er sich daran kümmern, es so gut als möglich zu flicken, und dann im Äußeren Schloss Bescheid geben, damit das Seil dauerhaft erneuert werden konnte.
    Die lediglich einhundert Schritte bis zum Seil und zum Schlund erwiesen sich als mühselig. Der Wind schien hier ständig die Richtung zu wechseln, sodass der Regen Dirgin Kresterfell in einem Moment ins Gesicht klatschte, im nächsten schon von hinten und oben in den Nacken rann. Es fühlte sich an, als würde jemand an ihm zerren, ihn abzuhalten versuchen von einem geradlinigen und rechtschaffenen Weg. Der Geruch nach warmem Eiklar verstärkte sich, obwohl bei diesem Wetter
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