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Die Daemonen 02 - Freiheit oder Finsternis

Die Daemonen 02 - Freiheit oder Finsternis

Titel: Die Daemonen 02 - Freiheit oder Finsternis
Autoren: Tobias O. Meissner
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Träger bereit, die ihn in einem mit Haltestangen versehenen Ohrensessel an das gewünschte Ziel bringen konnten. Gerne jedoch durchmaß Serach, wenn er nachts nicht schlafen konnte, die oberen Geschosse aus eigener Kraft. Das Schaben der Krücken auf den weichen Teppichen gab seinem Leben einen Takt und erinnerte ihn an das Fortbewegen der Welt in der Zeit. Die Zeit stand niemals still. Die Welt desgleichen. Selbst wenn ein Mensch schlief, bewegte er sich fort durch die Zeit.
    Serach wusste nun, dass unter einer dünnen Schicht des Anstands in jedem Menschen ein Dämonenschlund klaffte. Dieses Wissen hielt ihn nachts oft wach. Wenn seine trübe gewordenen Augen es ihm erlaubten, arbeitete er an einem Traktat über die Unendlichkeit des Seins, die Überwindung des Eigenen, das Gewinnen neuer Perspektiven in der Betrachtung von Jahreszeiten und Tierverhalten. Eine einfache dickliche Hofkatze konnte ihn mehr lehren von den Notwendigkeiten des Lebens als jedes noch so kluge Buch. Über das Fressen, Schlafen und Gottvertrauen hinaus – was war da noch wirklich von Bedeutung? Schufen die Menschen sich nicht nur immer wieder Vorwände, um sich von den Tieren unterscheiden zu können? Und entfernten sie sich dadurch nicht stetig von der Welt und ihren Ewigkeitsgesetzen und wurden anfällig für die Anfechtungen der Dämonen in ihrem Inneren?
    Lag der Irrweg der Menschen also darin, keine Tiere mehr zu sein?
    Aber war nicht andererseits den Menschen, eben weilsie keine Tiere mehr waren, eine besondere Rolle zugedacht in Gottes unerfassbarem Plan?
    Baron Serach den Saghi wusste es nicht. Er grübelte hin und her. Seine Krücken stanzten matte Abdrücke in die Teppiche und zogen den greisen Leib dann nach. Hundert Jahre. Bald hundert Jahre war er nun schon alt.
    Ein Schatten flatterte vor den Fenstern. Kaum wahrnehmbar vorm wolkenschweren Dunkel dieses Herbstes. Und dennoch: größer, weit größer als eine Fledermaus.
    Aus dem Hof erschollen Rufe. Dann etwas Höheres, das wie Katzen klang. Schreie? Schreie von Frauen oder Kindern?
    Serach beeilte sich, zu einer der Fensterscharten zu staken, aber er war dennoch langsam, seine alten Arme ließen ihn beinahe im Stich. Sein letzter Gedanke wehte hinter ihm her wie eine zerrissene Flagge. Aber war nicht andererseits den Menschen, eben weil sie keine Tiere mehr waren …
    Mit vor Anstrengung verzerrtem Gesicht erreichte der Baron das Fenster, hieb mit der linken Krücke den hölzernen Laden auf, während er sich voll und ganz auf die rechte stützte, und starrte hinaus in die hohe Nacht. Regen empfing ihn, der vertraute Geruch von Rauch und Pferden. Nichts war zu sehen.
    Dann: wieder ein Schatten. Noch einer. Ein dritter. Es war, als würfen die Wolken mit aus Wolkenstoff geballten Drachen, aber es waren keine Drachen, konnten keine sein. Es gab keine Drachen mehr in Orison seit dem Zeitalter, als alles noch magisch war. Aber irgendetwas kreiste um den Turm. Irgendetwas Großes.
    Von unten nun wieder Rufe und Schreie. Geschirrzersprang. Zwei Pferde rissen sich aus dem Stall los und galoppierten leicht seitlich über den Innenhof.
    Die Fahne. Die Baronatsfahne, die auf dem gegenüberliegenden Turm im Nachtwind flatterte. Etwas hatte sie in Fetzen gerissen. Baron Serach spürte eine eiskalte Hand sein Rückgrat hinaufkriechen. Es mochte der Tod sein, vielleicht aber auch nur Furcht.
    Hinten im Schreibsaal entstand Bewegung. Einer der Wachtposten machte Meldung. Er war so außer Atem vom Rampenerstürmen, dass seine Worte wie Zugluft klangen. »Baron! Baron!«, rief er überflüssigerweise, »Wir werden angegriffen! Etwas kommt über die Mauern! Es sind Tiere oder … oder … verkrüppelte Menschen?«
    »Was?« Baron Serach war alles andere als begriffsstutzig, aber sein Geist konnte nicht fassen, was da gesagt wurde. Noch immer war all sein Denken in seinem Traktat verheddert, in den ruhelosen Philosophien der Schlaflosigkeit.
    Er blickte wieder nach draußen. Die Schlossmauern waren nicht ganz so weit unten wie der Hof, der Trübheit seiner Greisenaugen nicht ganz so sehr verhaftet.
    Jetzt sah er es auch. Etwas quoll über die Zinnen. Ein Wachsoldat, ein einziger nur, warf sich der brodelnden Masse entgegen und verschwand in einem rötlich schimmernden Regenschauer. Mehr und mehr Schreie loderten jetzt auf, von überall im Schloss.
    Baron Serach wollte sich gerade vom Fenster ab- und seinem Melder zuwenden, als etwas Fettes, Ledernes aus den Wolken herabschoss und vor ihm
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