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Die Chronistin

Die Chronistin

Titel: Die Chronistin
Autoren: Julia Kröhn
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wär’s mir lieber, aus den Gedärmen von Tierkadavern Wurst zu machen, als mich in Gottlosigkeit zu vergehen.«
    Ihre Stimme störte nun auch die Kopistinnen in der ersten Reihe, die dem Nachwuchs selten Beachtung zollten. Manch eine gab ein Zischen von sich, das den Mädchen anzeigen sollte zu schweigen.
    Das tat Sophia nicht.
    »Was verstehst du schon, wovon in den Büchern geschrieben steht, wenn dein einziges Trachten doch gilt, dir den Magen voll zu stopfen?«, höhnte sie.
    »Das Buch des Herrn soll mir genügen«, gab Mechthild zurück. »Und darin heißt’s: Zu viele Gedanken trennen von Gott.«
    »Falsch zitiert. Verkehrte Gedanken trennen von Gott, steht dort geschrieben. Und in gleichem Kapitel: Gott hält die Weisen auf dem rechten Weg. «
    »Ha!«, lachte Mechthild mit einer Stimme, so dürr und kantig wie der Körper. »Wir streben die Gottesschau an, nicht die Weisheit, wie sie in Büchern steht. Auch ein gelehrter Kirchenvater wie Augustinus sagte, dass es... dass es genüge... von Gott zu wissen...«
    »Suchst du etwa nach dem richtigen Zitat?«, übertönte Sophia das lauter werdende Zischen der gestörten Nonnen. »Ich kann dir gerne helfen. Augustinus schreibt: Wer dich, o Herr, kennt, ist glücklich, wenn er auch von allem anderen nichts weiß. Und wer beides kennt, Dich und das andere, wird von diesem nicht glücklicher als von dir allein .«
    Mechthild stampfte auf, was die lauschende und gaffende Dorothea noch mehr erschreckte als die lauten Stimmen der Streitenden. Jede Regung, die Lärm bewirkte, war strikt verboten. »Genau das meine ich! Die Weisheit der Welt ist Torheit vor Gott! Und gleicher schrieb: Neque... enim... quaera... quaeri...«
    »Neque enim quaero intellegere, ut credam, sed credo, ut intellegam«, fiel Sophia ihr spöttisch ins Wort. »Hast du schon Mühe, den Satz auszusprechen, wirst du ihn noch viel weniger übersetzen können. Nun gut, ich helfe dir gerne: Ich will nicht erkennen, um zu glauben, sondern glauben, um zu erkennen.«
    Mechthild ignorierte den Spott und sprach eifrig weiter, um alsbald wieder zu stocken: »Und es gibt auch einen anderen Kirchenvater – Herm... Herm...«
    »Du meinst Hermias«, spottete Sophia. »Welcher schreibt – lass mich deinem müden Gedächtnis helfen: Pythagoras misst die Welt in Zahlen! Ich aber lasse Haus und Vaterland, Weib und Kind im Stich – berührt vom göttlichen Hauche – und kümmere mich nicht mehr um diese Welt.«
    »Eben recht!«, rief Mechthild, und ihr roter Zorn färbte sich noch dunkler.
    »Vergiss nicht Tertullian«, fuhr Sophia fort und gewahrte befriedigt, dass nun die andere nichts mehr sagte, sondern verbockt schwieg.
    »Ich sehe, du hast ihn vergessen. Ich zitiere gerne auch aus seiner Schrift: Der Herr ist in der Einfalt des Herzens zu suchen. Wir haben nach Jesus Christus die Neugierde nicht mehr nötig. Credo quia absurdum est – der Glaube kommt vor der Wissenschaft .«
    Alle schreibenden Nonnen hatten sich mittlerweile umgedreht, um zu beobachten, wie Mechthild weiterhin schwieg, Sophia sich aber stolz und selbstbewusst aufrichtete.
    »Davon hast du noch nichts gehört? Nichts gelesen? Also weiter – Tatian: Gegen die Griechen schreibt er, dass Christus uns gebot zu glauben, nicht zu wissen. Also bedürfen wir nicht der Wissenschaft!«
    Belehrend gestikulierte sie mit den Händen. Als sie obendrein den Zeigefinger erhob, fand Mechthild die Sprache wieder. »Du wagst es, die großen Gelehrten zu zitieren, einzig um mich zu beschämen?«
    »Ha!«, lachte Sophia und sprach hitzig in einem fort. »Du hast diesen Disput begonnen. Ich helfe dir nur, deine Meinung zu belegen. Gar freilich, so muss ich hinzufügen, kann ich nicht nur jeden einzelnen Satz wiedergeben, den die Genannten geschrieben haben, sondern auch Titus Flavius Clemens, welcher meint, dass die Philosophie dabei hilft, vom Glauben zur wahren Erkenntnis zu kommen. Minucius Felix erklärt in seinem Dialog Octavian, dass der christliche Glaube und die Philosophie nicht weit auseinander lägen. Und wenn Justinus sagt, die Philosophen hätten einen Teil des Logos erkannt, nur die Christen aber besäßen den ganzen, so frage ich mich: Wenn Christus der Logos ist – ist dieser denn teilbar? Wenn die heidnischen Philosophen von ihm einen Teil besitzen – gehört ihnen dann die Hand, mit der er aufs Kreuz genagelt wurde, die Dornenkrone oder das Herz?«
    Ihre Augen waren starr in das Skriptorium gerichtet, indessen sie sprach, aber sie sahen
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