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Die Chronistin

Die Chronistin

Titel: Die Chronistin
Autoren: Julia Kröhn
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richtige Stelle gefunden, fuhr zu lesen fort und sorgte dafür, dass alle sich wieder ins Leben des Heiligen Eligius vertieften und sich niemand mehr um Sophia scherte.
    Erst nach drei Jahren (Sophia ging damals ins zwölfte Lebensjahr) geschah es erneut, dass sie ihre Hoffart nicht zu zügeln wusste, ihre besondere Gabe vor allen anderen unter Beweis stellte, und aus diesem unnützen, sündigen Gebaren erwuchs eine nicht enden wollende Enttäuschung, die ihr das Leben auf Jahre vergällen sollte.
    Es verhielt sich so, dass regelmäßig ein Priester im Kloster zu Gast war. Er kam aus dem Männerkloster in der Nachbarschaft und wurde Pater Immediatus genannt. Bei seinem Besuch stand saftiger Wildschweinbraten auf dem Tisch; hernach zog er sich mit der Mutter Äbtissin zurück, um über alle Belange des Klosters zu sprechen; und es war zur Sitte geworden, dass er noch später ins Skriptorium schritt, um mit wohlwollenden Blicken zu überprüfen, was denn die Kopistinnen – die bereits fertig ausgebildeten und die noch lernenden – trieben.
    Manches Mal hatte er auch Sophia prüfend auf die Finger geschaut und ihre schönen Buchstaben gelobt, und als sie sich dieses Mal auf seinen Besuch vorbereitete, so brachte sie es nicht über sich, sich in die dunkle Ecke neben Dorothea zu hocken, sondern rückte unwillkürlich nach vorne auf, um ihre Fortschritte sichtbar zu bekunden.
    Niemals hätte Schwester Irmingard solch Verhalten ungetadelt geduldet – doch jene, so wusste Sophia, war während des Besuchs stets an der Seite des Pater Immediatus und würde sich später bei dessen Gang durchs Skriptorium jedes Geschimpfe verkneifen.
    Dorothea blickte verwirrt, war aber zu scheu, um sie zurück auf ihren angestammten Platz zu beordern. Sophia scherte sich um sie so wenig wie um die fragenden Blicke der anderen, reckte den Hals und griff zur Feder, auf dass – wie das Gebot der Äbtissin lautete – der Pater Immediatus sie mitten im regen Tageswerk vorfinden möge.
    Noch ehe sie den ersten Buchstaben vollenden konnte, fiel jedoch ein Schatten auf ihr Pult, lang gezogen und eckig.
    »Was treibst du an diesem Platz?«, zischte eine Stimme ungehalten. »Du gehörst zum Kreis der Schülerinnen! Scher dich von hier fort!«
    Die Stimme gehörte Schwester Mechthild, und jene hatte sich bislang durch ihren stetigen Hunger im Kloster bemerkbar gemacht, damit, dass sie die schwerfällige Griseldis bestach, gewiss jedoch nicht, indem sie sich im Skriptorium hervortat. Bis vor kurzem hatte sie auch nicht zu den Auserwählten gezählt, die lesen und schreiben lernten. Allein nachdem ihr Vater dem Kloster eine reiche Schenkung übergeben hatte, wurde im Kapitel ausgemacht, dass Schwester Mechthild nicht länger die niedrigen Dienste im Stall versehen sollte, sondern auf eine höhere Aufgabe vorbereitet würde.
    »Wüsst’ nicht, was dich das anginge, Schwester Mechthild«, trotzte Sophia jener, deren Buchstaben viel hässlicher waren als ihre und die beim Auswendiglernen oft kläglich scheiterte.
    Mechthild ließ sich nicht einschüchtern. »Du solltest vermeiden, dich vorlaut zu gebärden«, gab sie barsch zurück. »Ich habe nicht vergessen, dass du mich seinerzeit beim Kapitel verraten hast. Nur allzu gerne würde ich der Mutter Äbtissin und Schwester Irmingard zutragen, dass du hier in einer der vorderen Bänke hockst, wiewohl dir das nicht gestattet ist. Du zählst zu den Novizinnen, nicht zu den Nonnen!«
    »Dann klage mich eben vor allen anderen an! Traust du dich etwa? Oder witterst du nicht insgeheim, dass dieser Ort meiner würdig ist, deiner aber nicht? Ha! Geh lieber in den Schnee, Schweine schlachten!«
    Das kantige Gesicht wurde tiefrot, als klebte das Blut von einst daran. Neugierig stießen sich die gleichaltrigen Novizinnen an, den Streit zu begaffen. An Zänkereien gab es viele im Kloster, meist aber heimlich ausgefochten, in den verschwiegenen, grauen Ecken der Säle, niemals an Stätten, wo das gesprochene Wort nicht geduldet war.
    Dass sie vor anderen beschämt wurde, machte Mechthild noch wütender. Der Zorn übermannte sie wie sonst nur ihr Hunger.
    »Du magst von Büchern mehr wissen als ich. Doch verstehe ich nicht, was dich so stolz darauf macht! Ich weiß nur allzu gut, dass hier nicht nur von den Kirchenvätern abgeschrieben wird, sondern auch von heidnischen Philosophen. Erst gestern ward mir selbst ein Text vorgelegt, welcher vom ungetauften Porphyrius stammt. Und so will ich’s klar bekunden: Fast
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