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Die Chronistin

Die Chronistin

Titel: Die Chronistin
Autoren: Julia Kröhn
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wonach vor allem die Jüngeren unter ihnen nur sprechen durften, wenn sie ausdrücklich gefragt wurden. War das bereits Teufelswerk?
    Als der Pater Immediatus die Hand hob, erstarb das Gemurmel, doch die Stille war hungrig wie Mechthild. Fordernd verlangte sie nach einem Wort der Klärung oder der endgültigen Verurteilung.
    Sophia dachte gar nicht daran, sich gegen den Vorwurf zu verteidigen, wonach sie mit dem Teufel im Bund stünde. Sie wähnte sich des Schutzes sicher, den ihr der Pater Immediatus gegen die lästernde Zunge einer Neiderin gewiss gewährte. Bekräftigen würde er, dass ihr ein besonderer Platz im Skriptorium zustünde und dass ihr weitläufiger, fruchtbringender Geist nicht nur an dessen Rändern beackert werden sollte.
    Der Pater aber schwieg, desgleichen Irmingard, deren einzige Regung blieb, nach Atem zu ringen und jenen nicht lauten, aber beschwerlichen Husten auszustoßen, der sie ihr Lebtag lang quälte. Die Mutter Äbtissin war die Einzige, die schließlich sprach – nicht zu den beiden Streitenden, sondern zu den schreibenden Nonnen, die ihr Tagwerk unterbrochen hatten und mit offenen Mündern und gebannten Blicken das Geschehen bezeugten.
    »Nicht Faulheit noch Müßigkeit noch Schwatzsucht sollen in diesem Kloster Einzug halten«, mahnte sie, und ohne dass sie einen Befehl hinzufügte, verstand man ihre Worte und neigte sich über die Arbeit, vielleicht auch erleichtert über die Unauffälligkeit, in die sich alle außer Mechthild und Sophia flüchten konnten.
    »Du, Schwester Mechthild«, fuhr die Äbtissin fort, »wirst an diesem Ort zwar des Lesens unterrichtet, aber hast noch kein sonderliches Talent darin bewiesen. Wirst du künftig nicht willens sein, an diesem Ort der Stille den Mund zu halten, so bleibt mir nichts weiter übrig, als mich auf den Fleiß deiner Hände zu besinnen. Denk nicht, es stimmt mich dir milder, dass du in wenigen Monaten deine Ewigen Gelübde ablegst. Eine gute Nonne gebärdet sich nicht, wie du es eben tatest.«
    Das knöchrige Gesicht war bleich geblieben. Scheinbar gleichmütig nahm Mechthild das Urteil auf, bereit, jede Zurechtweisung zu ertragen, wenn Sophia eine noch härtere erfahren würde – und dies war gewiss, nun, da sie die Letzte war, an die sich Mutter Äbtissin richtete.
    »Ragnhild«, begann jene eben, »ja, ich sage Ragnhild, denn das ist dein richtiger Name, ganz gleich, wie manche dich hier scherzhaft nennen und in welchen Hochmut du dich darob verstiegen hast. Ragnhild also...«
    Sie machte eine Pause, nicht bedingt durch die Langsamkeit ihres Sprechens, das den zähen Gebärden des steifen Nackens folgte, sondern weil sie jäh vom Pater Immediatus aufgehalten ward.
    Sein Blick war zaudernd gesenkt, seine Stimme jedoch fest, als er die Äbtissin bat, an ihrer Stelle sprechen zu dürfen. Neugierig reckten sich die schreibenden Nonnen. Solch Anliegen war gänzlich ungewohnt.
    »Ich will«, sprach er, »ich will vorschlagen, ganz allein mit dem Mädchen eine Unterredung zu halten. Ein geistlicher Führer tut hier Not, der mehr ausspricht als nur kurze Mahnung...«
    Er drehte sich fort, noch ehe Widerspruch einsetzen konnte, und forderte Sophia mit einer lockenden Handbewegung auf, es ihm gleichzutun. Gern ging sie mit ihm. Gern wollte sie sich auch belehren lassen, dass ihre Gabe nicht dem Hochmut dienen und sie sie anders nähren sollte als im wütenden Gekläff mit einer tumben Mechthild. Am wichtigsten war, dass er sie stärkte, ihre Gabe zu nutzen, und lobte, dass sie so weit darin gediehen war, das Wichtige vom Unwichtigen zu scheiden. Denn nicht mit zänkischen Worten hatte sie Mechthild bezwungen, sondern mit Gelehrsamkeit.
    Kaum aber waren sie draußen im Gang angelangt, so waren es keine flüsternden Worte, die sie trafen. Unwirsch hob der Pater Immediatus die Hand, ließ sie hinabsausen und versetzte ihr eine laut klatschende Ohrfeige.
    Ihr Blick verdunkelte sich kurz. Sie hatte nicht bemerkt, ob des Schlags gefallen zu sein, aber als sie mit schmerzendem Gesicht die Augen wieder öffnete, hockte sie an die kalte, raue Wand geschleudert.
    »Captivitatem redigentes omnem intellectum in obsequium Christi«, belehrte der Pater streng. »Die Vernunft befindet sich in der Gefangenschaft Christi. Um dies zu lernen, wär’s besser für dich, die Fußböden zu scheuern und frische Binsen auszulegen, anstatt bei Büchern zu hocken.«
    »Mein Vater!«, nutze Sophia mit brummendem Schädel die Anrede, die alle hier an ihn richteten.
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