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Die Chronistin

Die Chronistin

Titel: Die Chronistin
Autoren: Julia Kröhn
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Felde Anerkennung erfuhr, leicht verdient, darum fast wertlos.
    Oh, bitter waren diese letzten Jahre!
    Anfangs war ihr nur die Aufgabe zugeteilt worden, die Gebetszeiten in der Infirmarie zu überwachen. Später prüfte Cordelis ihr Gespür für Krankheit, indem sie ihr jene Patientinnen überließ, die ihre Krankheit nur vortäuschten. Von diesen gab es nicht wenige, wiewohl es im wöchentlichen Kapitel streng verurteilt wurde, wenn eine der Schwestern sich nur krank stellte, um zu essen, soviel sie wollte – vor allem Fleisch –, und um im warmen Wasser zu baden. Sophia war das Mitleid fremd, sie reichte den Schwindlerinnen schonungslos nur Eierspeise und heißes Wasser, auf dass der Hunger sie vom Krankenlager jagen würde, und ging ebenso nüchtern zur Sache, als Cordelis sie nach dem ersten Jahr bei schwieriger Wundversorgung und schweren Krankheiten mit einbezog.
    Glücklich stimmte Sophia das nicht.
    Gewiss, mit der Krankenstube traf sie es besser als andere Schwestern, die waschen, flicken und spinnen mussten; die den Steintopf mit saurem Kraut füllten, Fleisch pökelten, Honig schleuderten und Eier in Kalk einlegten. Doch jedes Mal, wenn sie dem Skriptorium nahe kam, wusste sie ihren wahren Platz dort, wo das Wissen nicht nur auf die Medizin begrenzt war und auf die leidenden Leiber, wo sie nicht nur lesen, sondern selbst schreiben konnte. Verjagt fühlte sie sich, bestraft, weil sie der ganzen Welt ihre Gabe anvertraut hatte. Wie konnte es sein, dass die gleichaltrige Dorothea jeden Tag schrieb, bis sie der Daumen schmerzte, und zwar von Theologie und Philosophie, indessen sie selbst nur lernte, dass die Ranunkel gegen Nasenbluten half? Wie war es zu ertragen, dass Mechthild ihr Schreibpult besetzte, indessen sie sich von lüsternen Visionen erzählen lassen musste so wie heute?
    Die Krankenstube lag etwas abseits von den übrigen Räumen, auf dass die Schreie der Kranken nicht die Schlafenden störten und die Dämonen, die die wehen Leiber gefangen hielten, nicht zu den anderen wanderten. Die Mühle, das Backhaus mit dem Backofen und der Eingang zum Keller waren weit entfernt. Einzig das Bienenhaus und der Garten mit den schönen Blumen, die – anders als Kräuter und Gemüse im zweiten Klostergarten – nur zu Gottes Ehr wuchsen, umgrenzten den Hof vor der Krankenstube. An dieser Stätte gänzlich allein gelassen und fernab von gesunden, lebendigen Lauten wuchs Sophias Missmut immer weiter.
    Wie eine glatte Wachstafel lag die braune Erdfläche vor ihr, bis sie wütend darin stampfte, um sie zu zerstören, und sich schließlich niederkniete, um die freie Fläche zu beschreiben.
    Es ist nicht recht, dass ich so bestraft werde, schrieb sie auf, und der Zorn, der ihre Hände leitete, stieg durch die lesenden Augen wieder ins Gemüt, um es zu zerfressen. Ich hasse diesen Ort, wo man mich ausschließt und verbannt, auf dass ich in stinkenden Leibern zu wühlen habe!
    Jetzo waren es nur ihre Hände, die stanken. Der braune Dreck wucherte unter den Fingernägeln, mit denen sie geschrieben hatte. Es bekümmerte sie nicht. Noch tiefer wollte sie ihre Worte in die Erde hauen, auf dass jeder, vor allem aber der Herr im Himmel davon Kundschaft kriegte, wie schändlich man sie leiden ließ.
    »Kleine Sophia«, hörte sie da noch mitten in ihrem rachsüchtigen Werk fragen. »Was treibst du hier, anstatt bei den Kranken zu wachen?«
    Zuerst reagierte sie schuldbewusst, dann trotzig.
    »Was soll ich dort?«, entgegnete sie mürrisch. »Mein Platz ist nicht bei ihnen, und wer wüsste es besser, wenn nicht Ihr?«
    Schwester Irmingard zuckte zurück. Ihr Gesicht war stets wächsern bleich gewesen und die Augenränder dunkel, doch nun schien es, als sei die weiße Haut des Gesichts nichts weiter als eine brüchige Pergamentseite, die augenblicklich zerreißen konnte. Sie ging langsamer als früher und hustete viel öfter und lauter. Mehrmals war sie in den letzten Jahren in der Krankenstube gewesen, zwar nicht, um sich niederzulegen, wie Cordelis ihr riet, jedoch, um Kräuter zu erbitten, die die Schmerzen in der Brust zu lindern vermochten. Cordelis wickelte jene in ein Leinentuch, erhitzte es und legte es dorthin, woher der grässliche Husten kam.
    »Was redest du denn?«, fragte sie jetzt dennoch streng und ließ in ihrer Stimme nichts von der Schwäche des Körpers erahnen. »Und was hast du in die Erde geschrieben?«
    Die Frage brachte Sophia nicht zur Vernunft, sondern ließ sie zur zornigen Klagerede ansetzen:
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