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Die Chronistin

Die Chronistin

Titel: Die Chronistin
Autoren: Julia Kröhn
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an Aberglauben, und Schwester Irmingard lehrte stets, dass solcher Gottes Heilswillen nicht förderlich sei. »Das kann Teufelswerk sein«, verbesserte sie sich rasch und hob die Hand zum Mund und schluckte den bitteren Schleim, der ihr durch das Husten die Kehle hochgestiegen war. »Vielleicht nicht in meinen Augen – aber in denen der anderen. Du darfst mit niemandem darüber reden. Du musst es allen verschweigen, hörst du? Es mag sein, dass man dir vorwirft, eine Zauberin zu sein, und dies ist zu gefährlich ob deiner...«
    Das Plappern, das aus ihrem Mund ob seiner Fülle fast leichtfertig anmutete, riss ab.
    »Ob meiner... was?«, fragte Sophia aufgeregt. »Meiner Herkunft? Meint Ihr dieses?«
    Schwester Irmingard verzog die Mundwinkel zum üblichen freudlosen Lächeln.
    »Ich habe dich behandelt wie die anderen Mädchen deines Alters«, sprach sie nüchtern fort, »mag sein, dass man deinen Geist sorgsamer zu führen hat und zudem ausreichend zu füttern, auf dass er nicht auf dumme Gedanken kommt. Und dumm, das sage ich dir, wäre es, darüber zu sprechen: Über deine Herkunft, die aus gutem Grund hier verschwiegen wird, und über diese... Gabe.«
    Mühsam war es, Material zum Schreiben herzustellen.
    Wer im Skriptorium auf seine zukünftige Aufgabe vorbereitet wurde, musste auch das lernen – nämlich Häute von Kalb, Ziege und Schaf zu ziehen, hernach drei Tage in Kalkwasser zu legen und schließlich die Haut aufzuspannen. Mit einem Bimsstein wurde diese abgeschabt und getrocknet. Sophia hatte wenig handwerkliches Geschick – sie schimpfte, wenn das Ziegenpergament zu rau geriet, wenn auf der Schweinehaut störende Borsten verblieben und schließlich ihr Kalbspergament sich als zu glatt erwies, sodass die Tinte nicht haften blieb. Desgleichen verzweifelte sie, wenn ihr die Gänsefeder knickte, sobald sie die Spitze zuschneiden wollte, sie ekelte sich vor der Ochsengalle, die mit Ruß und Eiweiß und Wasser vermischt wurde, auf dass daraus Tinte werde.
    Doch ähnlich wie andere Brot zu backen lernen, weil es ihre tägliche Nahrung ist, setzte Sophia alle Kräfte daran, die notwendigen Voraussetzungen zu schaffen, um ihrer Leidenschaft zu frönen. Als sie erstmals nicht nur auf eine Wachstafel, sondern auf Pergament einen Text des Kirchenvaters Isidor von Sevilla schrieb, war sie so stolz, dass sie ihr einstiges Trachten vergaß, die großen Fragen ihres kleinen Lebens festzuhalten. Seltener als früher verspürte sie das Verlangen, sich Schwester Irmingards Gebot zu widersetzen und anderes aufzuschreiben, als es einer künftigen Kopistin oblag. Und jene wiederum wurde nicht müde, den kindlichen Geist mit allem aufzufüllen, was es in der Bibliothek abzuschreiben gab.
    Darunter waren lateinische und griechische Texte von heidnischen Philosophen, auf dass beide Sprachen perfekt beherrscht wurden und sich in künftige Abschriften nicht lächerliche grammatikalische Fehler schlichen. Erst nachdem diese Übung abgeschlossen war, durfte sie sich an das reiche Material der großen Lehrer des Christentums machen, des Augustinus, Hippolytus oder Boëthius. Als sie deren Schriften schließlich kannte, folgte eine Fülle liturgischer Texte, die über Jahrhunderte bezeugten, dass es nur eine richtige Form gab, die Messe zu feiern, alles andere aber Häresie sein konnte oder Aberglaube.
    Wenn Schwester Irmingard Sophia auftrug, jene Texte abzuschreiben (nie jedoch, sie mit eigenen Kommentaren zu versehen), so trachtete sie danach, das Mädchen mit den Wissenschaften zu sättigen, auf dass sich in ihrem Geiste nicht das eigene Leben drehe und wende – was gleichsam hieß, dass das Mädchen das Wichtige vom Unwichtigen zu scheiden lernte und vom Hochmut abließ, den die eigene Gabe bewirken könnte.
    Ein einziges Mal geschah’s nur, dass sie sich fast verriet: Es war dies während des Mittagsmahles, als eine der Schwestern, die – indessen die anderen aßen – aus der Vita des Heiligen Eligius vortrug, sich verblätterte und plötzlich das Lesen nicht mehr fortzusetzen wusste. In die Stille hinein sprach Sophia so selbstverständlich die Sätze, die nun hätten folgen müssen, als läge vor ihr das Buch und nicht vor der aufgeregt blätternden Schwester. Doch ehe die erstaunten Blicke auf sie glitten und Fragen laut wurden, welche Bewandtnis es mit diesem Handeln hätte, hatte Irmingard das Mädchen schon mit einer flüchtigen Handbewegung zum Schweigen gebracht. Bald hatte die vortragende Schwester wieder die
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