Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Chronik von Tornor 03 - Die Frau aus dem Norden

Titel: Die Chronik von Tornor 03 - Die Frau aus dem Norden
Autoren: Elizabeth A. Lynn
Vom Netzwerk:
hinteren Teil des Hauses, nahe genug bei dem Arrés, daß sie die Rufglocke hören konnte, wenn Arré klingelte. Sie mußte an Arrés Zimmer vorbei, um das ihre zu erreichen. Wenn die Tür geschlossen war, bedeutete dies, daß Arré nicht gestört zu werden wünschte. Sorren hoffte, die Tür möge geschlossen sein.
    Das Himmelskraut bewirkte, daß sie sich ihres Körpers überdeutlich bewußt war. Sie schob ihre Füße über den gemusterten Teppich im Gang des Oberstocks. Arrés Tür stand offen, aber nur einen Spalt weit.
    In ihrem Zimmer holte sie ihre Trommeln aus dem Korb. Sie waren aus Holz und mit Rehleder bespannt. Zu trommeln hatte sie auf den Weinfeldern begonnen, auf den ausgehöhlten Baumstämmen, die die Weinleser zum Herbstfest hervorholten. Sie klemmte sich die Trommeln zwischen die Knie. Auf dem linken Fell war eine abgenutzte Stelle. Wenn sie Isak in einem günstigen Augenblick erwischte, würde er für ein neues Fell berappen müssen, und das würde Arré Spaß machen. Sie tupfte sacht auf die Felle. Pah-pah-pah-dam-pah. Sie überlegte sich, was Isak vor den Räten tanzen würde. Es würde wohl etwas Langsames sein, raffiniert und voller kleiner Abwandlungen, keiner von den schnellen glanzvollen Schautänzen, die er bei Festen vorführte, um die Menge zu beeindrucken.
    Pah-pah-pah-dam-dam. Die Wirkung des Himmelskrautes machte es schwer, sich zu konzentrieren. Ihre Finger fühlten sich kribbelig an. Doch, sie mochte Himmelskraut gern. Und besonders gern rauchte sie Himmelskraut mit Paxe (obgleich Paxe selber es nur selten rauchte; sie behauptete, es mache sie schläfrig) und liebte sie dann.
    Pah-dam-pah-pah. Die Muskeln spielten unter ihrer Haut. Sie spürte den leichten Druck des Armreifs der Leibeigenen, den sie hoch am linken Arm trug. Er war aus Bronze und mit einem Dreiecksmuster aus blauer und scharlachroter Emaille verziert. Es machte ihr nichts aus, den Reif zu tragen; das Leben, das sie als Leibeigene führte, war viel angenehmer als jenes, für das sie bestimmt gewesen war: das einer wandernden Erntearbeiterin.
    Das kleine Zimmer enthielt wenig, das ihr gehörte. Die Trommeln waren ihr Eigentum – Isak hatte sie ihr in einem Anfall von Großmut geschenkt. Die Kleider, die sie trug, waren dem Brauch gemäß ihr eigen. Die Sachen in der Zedernholztruhe – Bürste, Kamm, Bronzespiegel, eine Goldkette, Sandalen – gehörten ihr. Auch die KARTEN waren ihr Eigentum. Sie lagen in einem Holzkästchen unter ihrem Kissen. Sie waren uralt – sie hatte keine Ahnung, wie alt – und ihre Zeichnungen waren dazu bestimmt, mit ihnen wahrzusagen, die Zukunft zu lesen. Sie hatten ihrer Mutter gehört. Es waren insgesamt zweiundzwanzig, alle verschieden voneinander, und Sorren hatte sie nach den daraufgemalten Bildern mit Namen bedacht. Außerdem waren sie numeriert. Auf den Weinfeldern hatte Sorren gelernt, Nummern zu lesen. Eine der Karten, »der Tänzer«, war ohne Nummer, die andern waren alle numeriert, und sie hielt sie in dem hölzernen Kästchen in der richtigen Reihenfolge gestapelt und in ein Stück rote Seide verpackt.
    Ihre Finger klopften auf die Felle. Die Karten schlagen und aus ihnen die Zukunft lesen, das ist gegen das Chea. Sagte jedenfalls der Tanjo. Doch Sorren ließ sich wegen dieses Verbotes keine grauen Haare wachsen; schließlich wußte sie ja nicht, wie man die Karten las. Und sie konnte sich auch nicht erinnern, ob ihre Mutter es gekonnt hatte. Sie wünschte, sie hätte sich an all die Geschichten erinnern können, die ihr die Mutter erzählt hatte; vielleicht hätte sie daraus erfahren können, woher die Karten stammten und wie sie gelesen werden mußten. Vielleicht hätten sie sogar Sorrens Visionen erklären können.
    Zuweilen hatte sie daran gedacht, Arré die Karten zu zeigen. Aber wenn sie Arré die Karten zeigte, würde sie ihr auch von ihrer Gabe berichten müssen, und Arré würde es den Hexenleuten sagen, und dann würden sie Sorren zwingen, das Haus der Med zu verlassen und im Tanjo zu leben und dem Chea zu dienen, und sie würde von all ihren Freunden getrennt sein, besonders von Paxe, und sie würde niemals in die Berge ziehen.
    Und das würde entsetzlich sein. Ihre Finger tanzten über die Trommel. Pah-pah-pah, pah-pah-PAH! Und das würde sie zutiefst verabscheuen und fortlaufen.
     



2. Kapitel
     
    Paxes Tag begann im Morgengrauen. Die Vögel weckten sie, dann das Licht, das durch das Fenster im Osten drang. Sie lag bewegungslos im Bett und sortierte die
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher