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Die Chronik von Tornor 03 - Die Frau aus dem Norden

Titel: Die Chronik von Tornor 03 - Die Frau aus dem Norden
Autoren: Elizabeth A. Lynn
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morgendlichen Empfindungen, die auf sie eindrangen. Aus dem Med-Haus konnte sie das Klappern und Getöse hören, mit dem Toli, einer der Küchenlehrlinge, die Asche aus dem großen Ofen an der Hauswand kratzte, um ein frisches Feuer zu entzünden. Der Wind trug die Gerüche von Pinien und Schierlingstanne herbei. Die Brise war feucht und salzig, sie kam aus dem Süden. Paxe reckte sich, ihre Sehnen krachten, die Gelenke knackten leise. Sie schob sich auf den Ellbogen hoch und neigte den Kopf zur Seite, lauschte, ob sie irgendwelche Geräusche aus dem unteren Geschoß ihrer Kate hören könne. Doch sie hörte nichts; also hatte Ricard in dieser Nacht wieder nicht im Haus geschlafen. Sie hatte auch nicht damit gerechnet, daß er da sein würde: bei den seltenen Gelegenheiten, bei denen er sich herabließ, ihr Haus zu beehren, paffte er es stets voller Himmelskrautrauch, und das hätte sie auch diesmal riechen müssen. Außerdem würde sie ihn hereinstolpern gehört haben.
    Sie stand auf und kleidete sich an. Inzwischen war sie daran gewöhnt, früh aufzustehen; sie hatte es den ganzen Sommer hindurch getan. Die drei Med-Offiziere – Paxe, Kaleb und Ivor – wechselten sich der Reihe nach in der Wache ab, viermal im Jahr, jedesmal beim Übergang zur nächsten Jahreszeit. Die Tagwache ging von Sonnenaufgang bis zum halben Nachmittag; die Spätwache, Ivor hatte sie jetzt, vom Nachmittag bis Mitternacht; und die Nachtwache von Mitternacht bis zum Sonnenaufgang. Die tatsächliche Wacheinteilung war allerdings flexibel, um den jahreszeitlichen Unterschieden gerecht zu werden. Der Nachtdienst war der am wenigsten leicht kalkulierbare, und der Dienst tagsüber war von allen drei Schichten der anspruchvollste. Und derzeit hatte Paxe das Tageskommando.
    Kaleb wartete direkt am Tor des Waffenhofes auf sie.
    »Einen guten Morgen«, sagte er.
    Sie lächelte ihm zu. »Guten Morgen.« Sie kannten einander gut. Er war seit sieben Jahren ihr Unteroffizier und seit sechzehn Jahren ihr Freund. Nach dem Tod ihrer Töchter, während der Pestepidemie, hatte ihr Shana Med, die Mutter von Arré Med, die Erlaubnis erteilt, ihren Posten aufzugeben, die Weingärten zu verlassen und auf Reisen zu gehen. Sie war nach Westen gezogen, nach Shanan und noch weiter, quer durch das Gebiet der Asech bis nach Tors Rest, ein kleines Dorf an den südlichsten Ausläufern der Roten Berge.
    Dort war sie zwei Jahre lang geblieben. Auf der Heimreise hatte sie Kaleb getroffen, und er war ihr in die Stadt gefolgt und hatte sich auf ihre Empfehlung hin der Med-Wache anschließen dürfen. Es war wahrscheinlich (wenn auch nicht sicher), daß er Ricards Vater war.
    »Wie war die Nacht?« fragte sie.
    Kaleb lehnte gegen die Hofmauer. »In diesem Bezirk war es ruhig. Drunten an den Docks gab es Ärger, aber die Jalar-Wache hat die Leute zerstreut.«
    Die Arbeit im Hafen war langweilig und sehr schwer; manchmal fingen die Schauerleute und die Fischersleute Prügeleien an, nur um sich Luft zu machen. »Verletzte?«
    »Eigentlich nicht. Es gab ein paar blutig geschlagene Schädel. Die Jalar-Wache mußte die Speerschäfte einsetzen.«
    Das war nur das übliche. »Wer hat angefangen?« erkundigte sich Paxe.
    »Weiß ich nicht. Aber es geht das Gerücht, daß Col Ismenin daran beteiligt war«, sagte Kaleb.
    Er würde ihr kein Gerede hinterbringen, wenn er nicht glaubte, daß ein Körnchen Wahrheit dahintersteckte. »Das hört man nicht zum erstenmal«, sagte sie beiläufig. Die Brüder Ismenin waren als Raufbolde berüchtigt. Sie musterte Kaleb von oben bis unten. Seine Kleidung war staubig. Er war drei Jahre jünger als sie, und in seinem Haar breitete sich bereits Grau aus, aber er würde niemals zugeben, daß er müde sei. »Leg dich schlafen«, sagte sie.
    »Das tu ich.«
    Sie schaute ihm nach, als er den Waffenhof verließ. Ricard sah ihm nicht ähnlich, nein, eigentlich gar nicht. Sie überlegte, wo ihr Sohn die Nacht verbracht haben mochte. Den halben Tag lang trieb er sich in der Stadt herum, spielte, warf ihr Geld zum Fenster hinaus und rauchte Himmelskraut ... Fünfzehn war er. Mit fünfzehn war sie bereits schwanger gewesen. Vielleicht war es an der Zeit, daß sie sich eingestand, daß Ricard kein Kind mehr war.
    Sie begannen mit ihren Übungen. Im Zentrum des weiten, stillen Platzes reckte sie ihren Leib und ließ ihn kreisen, nach Norden, Osten, Süden, Westen, Norden. Sie behandelte ihre Muskeln, wie ihre Wachtposten ihre Waffen behandelten, sie schliff sie und
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