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Die Chronik der Hürnin (Das Alte Reich)

Die Chronik der Hürnin (Das Alte Reich)

Titel: Die Chronik der Hürnin (Das Alte Reich)
Autoren: Sebastian Keller
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Und was macht dich da so sicher?“, fragte Kemerak spöttisch.
    „ Weil du noch nicht mal stark genug bist, um einen Jungen im Kampf zu besiegen, geschweige denn das, was sich auf dem Sommerfeld herumtreibt.“
    Wie zu erwarten war reagierte Kemerak auf diese Provokation, indem er auf Gilcris zuging, um ihn zu verprügeln, aber der hatte damit gerechnet, warf sich zur Seite und traf Kemerak mit dem Knie in dessen ungeschützten Unterleib. Vor Überraschung und Schmerz aufheulend klappte der Mann zusammen und schnappte erst einmal eine Weile nach Luft. Erich wartete, bis er sich wieder aufgerappelt hatte.
    „Jetzt.“, flüsterte Gilcris mir zu und ich fuhr in seinen Körper. „Ich will ihn nicht verletzen.“, fuhr er fort, denn obwohl ich die Kontrolle über seine Muskeln übernommen hatte, war Gilcris immer noch präsent und beobachtete was ich tat. „Ich will ihm nur eine Abreibung verpassen, die er so schnell nicht mehr vergisst.“
    Bei seinem zweiten Angriff ging Kemerak weniger impulsiv vor. Er schleuderte eine Handvoll trockene Erde auf Gilcris und trat dann nach seinen Beinen. Ich wich zur Seite und schlug mit gekrümmten Fingern drei lange Kratzer in Kemeraks Schulter. Er wirbelte herum und erwischte mich am Kopf, bevor ich mein Knie hochreißen und in seinem Magen versenken konnte. Nach Luft schnappend brach Kemerak ein zweites Mal zusammen und blieb gekrümmt liegen.
    Gilcris schob mich aus seinem Körper und einen Augenblick lang sah ich nur die weit aufgerissenen Augen der Hürnin, die den Kampf mit angesehen hatten. Dann wandte ich meine Aufmerksamkeit wieder Gilcris zu und sah, dass aus seiner Augenbraue, dort wo Kemerak ihn getroffen hatte, Blut über sein Gesicht lief und auf den Boden tropfte.
    Aber das Blut versickerte nicht. Es breitete sich auf dem Boden aus, schwärzte ihn und wurde zu fruchtbarer Erde, aus der ein kleiner Keim hervorbrach. Ein weiterer Tropfen fiel zu Boden und aus dem Keim wurde ein kräftiger Stiel mit zwei Blättern, der rasch in die Höhe wuchs. Immer mehr Blätter kamen hinzu, feine Zweige schoben sich der Sonne entgegen und im Zeitraum von wenigen Atemzügen wuchs ein stattlicher Baum heran, der Gilcris und die anderen Hürnin überragte. Ehrfürchtig wichen sie einige Schritte zurück. Die Blätter des Baumes spendeten wohltuenden Schatten und als die Hürnin mit offenen Mündern und geweiteten Augen nähertraten entdeckten sie an den Ästen eine Fülle erntereifer Äpfel.
    Ein Raunen ging durch die Flüchtlinge und wieder wandten sich alle Augen erwartungsvoll Gilcris zu. Auch er sah den Apfelbaum an, als könne er nicht glauben, was er da sah.
    „ Esst.“, sagte er und obwohl er leise sprach, war keiner einziger unter den Hürnin, der ihn nicht hörte. „Esst, denn die Äpfel des Königs gehören von nun an allen Hürnin.“
    Noch immer zögernd griffen die ersten Männer und Frauen nach den Früchten und auch Gilcris pflückte einen der Äpfel. Vorsichtig biss er hinein und ich beobachtete, wie er die Augen schloss, während sich eine Gänsehaut auf seinen Armen ausbreitete.
    Auch die anderen Hürnin sahen nicht so aus als würden sie ihre erste Mahlzeit in dieser Welt je wieder vergessen. Nur Kemerak lag noch immer schnaufend am Boden während die anderen aßen und obwohl er später angestrengt danach suchte, war kein einziger Apfel mehr am Baum verblieben, als die Hürnin weiterzogen. Kaum hatten die letzten Flüchtlinge den Schatten seiner Äste verlassen, als das Laub zu verwelken begann und der gesamte Baum verdorrte. Wieder brannte die Sonne erbarmungslos auf die Flüchtlinge herab.
    Noch ein weiteres Mal an diesem Tag ließ Gilcris einen Apfelbaum entstehen, indem er die Handwunde, die er sich an den Zähnen der Schlange Oroboros selbst zugefügt hatte, wieder öffnete und etwas Blut auf den Boden tropfen ließ. Wieder starb der Baum sobald die letzten Hürnin seinen Schatten verließen, aber diesmal trug er so viele Früchte, dass nicht nur alle davon satt wurden, sondern auch einige Äpfel übrig blieben, die die Flüchtlinge in ihren bloßen Händen als Vorrat mit sich trugen.
    Kurz bevor die Sonne die Spitzen der Berge im Westen erreichte, zwang uns eine weitere erschreckende Neuigkeit Halt zu machen: Einige der Frauen hatten ohne erkennbaren Grund angefangen zwischen ihren Beinen zu bluten und obwohl Gilcris noch aus der Zeit in seinem Dorf wusste, dass das nichts Ungewöhnliches war, hatte er doch niemals von seiner Ziehmutter oder einer andere
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