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Die Capitana - Roman

Die Capitana - Roman

Titel: Die Capitana - Roman
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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ihr, irgendetwas zu entscheiden, schon gar nicht, was mit dem Leichnam zu geschehen hatte. Paulette, die China, Guillermo, Felisia, Guy und ihre ganzen atheistischen Freunde würden sie einfach verbrennen, so hatte sie es selbst verfügt. Aber Madame hatte Conchita erlaubt, sie zu segnen. Auf ihre Weise hatte sie sie sogar darum gebeten, redete sie sich selbst gut zu.
    Wenn Conchita es hinbekam, den lateinischen Segensspruch ordentlich aufzusagen, konnte sie vielleicht verhindern, dass Madame Mika in die Hölle kam, denn sie war doch ein so guter Mensch gewesen, ein wenig herrisch, aber gut, sonst wäre sie nicht wie ihre eigenen Eltern und Onkel einfach so in diesen Krieg gezogen – einfach so natürlich nicht, ihre Gründe hatte sie ihr erklärt. Obwohl sie noch nicht einmal Spanierin war! Das war das erste, was Monsieur André Breton – bei dem Conchita seit Jahren arbeitete – ihr erzählt hatte, als er sie gefragt hatte, ob sie seiner Freundin nicht im Haushalt helfen wollte: dass Mika Etchebéhère auf der Seite der Republikaner in ihrem Land gekämpft hatte, dass sie Capitana gewesen war.
    Conchita war so beeindruckt von ihr gewesen, dass sie sich eines Nachmittags ein Herz gefasst und sie um Hilfe gebeten hatte. Wenn Madame Mika gegen die bis an die Zähne bewaffneten Franquisten gekämpft hatte, würde sie auch mit einem abscheulichen Ehemann fertig werden. Mika verpasste ihm zwar keine Abreibung, wie Conchita es sich gewünscht hätte, Gott möge ihr verzeihen, doch sie brachte sie vor seinen Übergriffen in Sicherheit. Sie überzeugte sie davon, ihren Mann zu verlassen, besorgte ihr eine Arbeit und die Concièrge-Wohnung in der Rue Saint-Sulpice, wo Conchita und ihre Kinder einzogen. Und sie lud sie mehrmals alle zusammen in ihr kleines Haus in Périgny ein, und nicht etwa zum Arbeiten, sondern um Urlaub zu machen.
    Doch, Madame Mika war zu ihr sehr großzügig gewesen, und Conchita wollte sie im Jenseits auf keinen Fall ihrem Schicksal überlassen. Das hatte Mika ihr beigebracht: Man darf die Dinge nicht dem Schicksal überlassen, sondern muss sie selbst in die Hand nehmen. Allerdings hatte sie das mit Blick auf Conchitas Sorgen gesagt, denn was sie selbst im Jenseits erwartete, kümmerte Madame wenig: sie würde verschwinden, sich in Luft auflösen, nichts sein.
    Wie konnte sie wollen, dass man sie einäscherte? Entsetzlich. Und auch noch ohne Segnung! Sie hatten mehr als einmal darüber gesprochen, in der Zeit, in der Conchita ihr den Haushalt machte, später dann im Altersheim in Montparnasse und im Krankenhaus.
    »Ich hasse Priester, Conchita, wenn du mich segnen würdest …«
    Obwohl sie wusste, dass es fast unmöglich sein würde, wollte sie Mika bei ihrem letzten Besuch im Krankenhaus dazu überreden, zu beichten und sich die Sterbesakramente geben zu lassen, damit sie in den Himmel käme, das hatte auch ihre Mutter getan, als Conchitas Vater – ebenfalls ein Roter – im Sterben gelegen hatte.
    Conchitas Vater war ohne Bewusstsein – vielleicht auch schon tot –, als der Pfarrer kam, aber dank dieser lateinischen Worte und der Gebete der Familie war er für die Ewigkeit gerettet. Und wenn das bei ihrem Vater geklappt hatte, warum dann nicht bei Mika?
    Ihre Freunde würden niemals einen Priester auf der Beerdigung dulden. Die große Frage war nur, ob Conchita sich trauen würde, mit lauter Stimme die Worte vorzutragen, die sie sich aufgeschrieben hatte, denn sie glaubte nicht, dass man für so etwas Wichtiges einfach irgendetwas dahinsagen konnte. Bis der Pfarrer von Saint-Sulpice mit den Worten rausgerückt war, hatte sie ihn unzählige Male aufsuchen müssen, heilige Maria, was hatte sie betteln müssen, damit er ihr dieses lateinische Sprüchlein verraten hatte, das wahrscheinlich noch nicht mal Gott verstand; wenn der Hotelbesitzer aus der Rue Bonaparte mit dieser Bitte gekommen wäre, hätte er ihm gewiss sofort weitergeholfen, dabei hatte Jesus doch gesagt, es ist schwieriger, dass ein Reicher in den Himmel kommt als ein Kamel durch ein Nadelöhr.
    Sie kannte etliche der Menschen, die zu Mikas Beisetzung auf den Friedhof Père Lachaise gekommen waren, aber niemanden näher. Vielleicht könnte sie ihren Neffen bitten, aber der trug gerade ein Gedicht von Alfonsina Storni, einer engen Freundin von Mika, vor, und Conchita traute sich nicht, ihn zu unterbrechen.
    Wegen ihres ganzen Hin und Hers hatte sie bereits sämtliche Gelegenheiten verpasst, als Mikas Sarg in dieses schauderhafte
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