Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Brüder Löwenherz

Die Brüder Löwenherz

Titel: Die Brüder Löwenherz
Autoren: Astrid Lindgren
Vom Netzwerk:
draußen die Tauben gurren. Auf dem Hinterhof gibt es haufenweise Tauben. Und jetzt im Frühling ist es ein ewiges Gegurre. Da geschah es: Wie ich dort liege und in das Kissen weine, höre ich dicht neben mir ein Gurren, und als ich aufblicke, sitzt eine Taube auf dem Fensterblech und sieht mich mit freundlichen Augen an. Eine schneeweiße Taube, wohlgemerkt nicht so eine graue wie die Tauben auf dem Hof! Eine schneeweiße Taube - niemand kann verstehen, was ich fühlte, als ich sie sah. Denn es war ja genauso wie im Lied: »... fliegt eine weiße Taube zu dir hierher...«
    Und mir war, als hörte ich wieder Jonathan singen: »Mit ihr wird meine Seele dann bei dir sein.«
    Doch jetzt war er es, der zu mir gekommen war. Ich wollte etwas sagen, konnte aber nicht. Ich lag nur still da und hörte die Taube gurren, und durch dieses Gurren oder in diesem Gurren, oder wie ich es sagen soll, hörte ich Jonathans Stimme. Auch wenn sie anders klang als sonst. Es war wie ein Gewisper in der ganzen Küche. Das hörte sich fast wie eine Spukgeschichte an, und man hätte sich fürchten können, aber das tat ich nicht. Ich freute mich so sehr, daß ich am liebsten an die Decke gesprungen wäre. Denn was ich da hörte, war wunderbar. Aber gewiß doch, natürlich war es wahr, das mit Nangijala! Ich solle mich beeilen, auch dort hinzukommen, sagte Jonathan, denn dort habe man es gut, rundherum gut. Man stelle sich vor, als er dort hingekommen war, hatte er ein Haus vorgefunden, ein eigenes Haus ganz für sich allein. Das hatte dort in Nangijala auf ihn gewartet. Es sei ein altes Gehöft, sagte er, Reiterhof heiße es und liege im Kirschtal, klinge das nicht herrlich? Und das erste, was er erblickt hatte, als er zum Reiterhof gekommen war, war ein kleines grünes Schild an der Gartenpforte, worauf stand: Die Brüder Löwenherz.
    »Und das bedeutet daß wir beide dort wohnen werden«, sagte Jonathan. Man stelle sich vor, daß auch ich Löwenherz heißen soll, wenn ich nach Nangijala komme! Darüber freue ich mich, denn ich möchte ja am liebsten genauso heißen wie Jonathan, auch wenn ich nicht so mutig bin wie er.
    »Komm, so schnell du kannst«, sagte er.
    »Und wenn du mich nicht zu Hause auf dem Reiterhof findest, dann sitze ich unten am Fluß und angle.«
    Danach wurde es still, und die Taube flog davon. Schnurgerade über die Hausdächer. Zurück nach Nangijala. Und ich liege hier auf meiner Bank und warte nur darauf, hinterherfliegen zu können. Hoffentlich ist es nicht zu schwierig, dort hinzufinden. Aber Jonathan hat gesagt, daß es gar nicht schwer ist. Sicherheitshalber habe ich die Adresse aufgeschrieben: Die Brüder Löwenherz Reiterhof Kirschtal Nangijala Schon zwei Monate lang wohnt Jonathan dort allein. Zwei lange, schreckliche Monate habe ich ohne ihn sein müssen. Aber jetzt komme ich auch bald nach Nangijala. Bald, bald werde ich dorthinfliegen. Vielleicht heute nacht. Mir ist, als könnte es heute nacht sein. Ich will einen Zettel schreiben und ihn auf den Küchentisch legen, damit Mama ihn morgen früh findet. Und das soll auf dem Zettel stehen:
    »Weine nicht, Mama! Wir sehen uns wieder in Nangijala!«

3
    Dann geschah es. Etwas seltsameres habe ich nie erlebt. Ganz plötzlich stand ich einfach vor der Gartenpforte und las auf dem grünen Schild: Die Brüder Löwenherz. Wie kam ich dorthin? Wann flog ich? Wie konnte ich den Weg finden, ohne jemanden danach zu fragen? Das weiß ich nicht. Ich weiß nur, daß ich plötzlich dort stand und das Namensschild an der Gartenpforte sah. Ich rief nach Jonathan. Mehrmals rief ich ihn, doch er antwortete nicht. Und da fiel es mir ein. Er saß natürlich unten am Fluß und angelte. Ich lief los. Den schmalen Pfad hinunter zum Fluß. Ich lief und lief - und dort unten auf der Brücke saß Jonathan. Mein Bruder, er saß dort, sein Haar leuchtete im Sonnenschein, und auch wenn ich es hier zu erzählen versuche, so läßt sich doch nicht beschreiben, welch ein Gefühl es war, ihn wiederzusehen. Er hörte mich nicht kommen. Ich versuchte »Jonathan« zu rufen, weinte aber wohl, denn ich brachte nur einen leisen, komischen Laut hervor. Jonathan hörte mich trotzdem. Er blickte hoch. Zunächst schien es, als erkenne er mich nicht wieder. Doch dann schrie er auf, warf die Angel ins Gras, stürzte auf mich zu und packte mich, als wolle er sich vergewissern, daß ich wirklich gekommen war. Und da weinte ich nur noch ein bißchen. Warum sollte ich eigentlich noch weinen, aber ich
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher