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Die Brüder Löwenherz

Die Brüder Löwenherz

Titel: Die Brüder Löwenherz
Autoren: Astrid Lindgren
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machte mir heißes Honigwasser, um meinen Husten zu lindern. Ja, Jonathan war lieb! An jenem Abend, als ich mich so vor dem Sterben fürchtete, saß er viele Stunden bei mir, und wir sprachen von Nangijala, aber ziemlich leise, damit Mama uns nicht hörte. Sie blieb wie gewöhnlich lange auf und nähte, und die Nähmaschine steht in der Stube, dort, wo Mama schläft -wir haben ja nur diese eine Stube und die Küche. Die Tür war angelehnt, und wir konnten Mama singen hören. Sie sang immer dasselbe Lied vom Seemann weit draußen auf dem Meer, wahrscheinlich dachte sie dabei an Papa. Ich erinnere mich nicht mehr genau daran und weiß nur noch ein paar Zeilen daraus, und die gehen so: Liebste, fall ich zum Raube dem wilden Meer, fliegt eine weiße Taube zu dir hierher. Laß sie, o meine Liebste, zum Fenster ein! Mit ihr wird meine Seele dann bei dir sein. Es ist ein schönes, trauriges Lied, finde ich. Doch als Jonathan es an jenem Abend hörte, lachte er und sagte:
    »Du, Krümel, vielleicht kommst auch du eines Abends zu mir geflogen. Aus Nangijala. Und sitzt als schneeweiße Taube auf dem Fensterblech, tu das doch bitte!«
    Gerade da fing ich an zu husten, und er richtete mich auf und hielt mich umfaßt wie immer, wenn es am schlimmsten war, und dann sang er: Kommt sie, o kleiner Krümel, zum Fenster ein! Mit ihr wird deine Seele dann bei mir sein. Erst da mußte ich daran denken, wie es in Nangijala ohne Jonathan sein würde. Wie einsam ich ohne ihn wäre. Was nützte es mir, wenn ich in allerlei Sagen und Abenteuer hineingeriet und Jonathan nicht dabei war. Ich würde mich nur fürchten und mir nicht zu helfen wissen.
    »Ich will nicht dorthin«, sagte ich und weinte.
    »Ich will da sein, wo du bist Jonathan!«
    »Aber ich komme ja auch nach Nangijala«, sagte Jonathan.
    »Nach einiger Zeit.«
    »Nach einiger Zeit ja«, sagte ich.
    »Aber du wirst vielleicht neunzig Jahre alt, und bis dahin muß ich allein dort sein.«
    Da erzählte Jonathan, daß die Zeit in Nangijala nicht ebenso sei wie hier auf Erden. Selbst wenn er neunzig Jahre alt würde, käme mir das vor, als dauerte es nur etwa zwei Tage, bis er da wäre. Denn so sei es, wenn es keine richtige Zeit gebe.
    »Zwei Tage wirst du es wohl allein aushalten können«, sagte er.
    »Du kannst ja inzwischen auf Bäume klettern und dir ein Lagerfeuer im Wald machen und an irgendeinem kleinen Fluß sitzen und angeln. Du kannst all das tun, wonach du dich immer so sehr gesehnt hast. Und gerade wenn du einen Barsch an der Angel hast komme ich angeflogen, und dann sagst du: Ja, meine Güte, Jonathan, bist du schon da?«
    Ich versuchte, mit dem Weinen aufzuhören, denn ich dachte, zwei Tage würde ich es wohl aushalten können.
    »Aber stell dir vor, wie gut es wäre, wenn du zuerst da wärst«, sagte ich.
    »Wenn du schon dort sitzen und angeln würdest.«
    Das fand Jonathan auch. Er sah mich lange an, so liebevoll, wie er es immer tat und ich merkte, daß er traurig war, denn er sagte leise und fast bekümmert:
    »Statt dessen muß ich ohne meinen Krümel hier auf Erden leben. Vielleicht neunzig Jahre lang!«
    Ja, das glaubten wir! 

2
    Jetzt komme ich zu dem Schrecklichen zu dem, woran ich nicht zu denken wage. Und woran ich doch ständig denken muß. Mein Bruder Jonathan - er könnte ja noch immer bei mir sein, mir abends etwas erzählen, in die Schule gehen und mit den Kindern auf dem Hof spielen, mir Honigwasser wärmen und all das, doch so ist es nicht... so ist es nicht! Jonathan ist jetzt in Nangijala. Es ist schwer, ich kann, nein, ich kann es nicht erzählen. Aber so stand es hinterher in der Zeitung:

    Gestern abend wütete hier in der Stadt im Viertel Fackelrose eine entsetzliche Feuersbrunst, die eines der dortigen Holzhäuser einäscherte und ein Menschenleben forderte. In einer daselbst befindlichen Wohnung im zweiten Stock lag der zehnjährige Knabe Karl Löwe allein und krank zu Bett, als das Feuer ausbrach. Kurz danach kehrte sein Bruder, der dreizehnjährige Jonathan Löwe, heim und stürzte sich, ehe ihn jemand daran zu hindern vermochte, in das bereits lichterloh brennende Haus, um den Bruder zu. retten. In Sekundenschnelle war jedoch auch das ganze Treppenhaus ein einziges Flammenmeer, und den beiden durch das Feuer eingeschlossenen Knaben blieb als einzige Rettung der Sprung aus dem Fenster. Die vor dem Haus versammelte entsetzte Menschenmenge mußte machtlos mitansehen, wie der Dreizehnjährige seinen Bruder auf den Rücken nahm und sich mit
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