Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Brücke

Die Brücke

Titel: Die Brücke
Autoren: Ian Banks
Vom Netzwerk:
noch wie damals aus.
    Ein langer Marsch bringt mich zu der verlassenen Sommerwohnung der
Arrols. Sie ist halb vom Sand begraben. Die Tür steht offen. Nur
die Oberseiten der immer noch von Laken bedeckten Möbel sind
sichtbar. Das Feuer ist unter den Sandwogen verschwunden, ebenso das
Bett.
     
    Ich klettere langsam zurück auf das Zugdeck, stehe dort und
blicke über den schimmernden Sand hin, der die Brücke
umgibt. Eine leere Flasche liegt zu meinen Füßen. Ich
fasse sie beim Hals und werfe sie hinunter. Sie fällt glitzernd,
sich überschlagend auf den Sand zu.
     
    Später kommt Wind auf, kreischt durch die Brücke,
scheuert mich, peitscht mich. Ich drücke mich in eine Ecke, sehe
den Wind wie eine endlos schabende Zunge Farbe von der Brücke
schälen. »Ich gebe auf«, sage ich ihm.
    Der Sand scheint mein Gehirn zu füllen. Mein Schädel
fühlt sich wie der Boden eines Stundenglases an.
    »Ich gebe auf. Ich weiß es nicht. Ding oder Ort, sag du
es mir.« Ich glaube, das ist meine eigene Stimme. Der Wind weht
stärker. Ich kann mich nicht sprechen hören, aber ich
weiß, was ich zu sagen versuche. Ich bin plötzlich
überzeugt, daß der Tod ein Laut ist, ein Wort, das jemand
äußern kann, und dann ist es sein Tod. Ich versuche, mich
an dieses Wort zu erinnern, als in der Ferne etwas kratzt und sich
dreht und Hände mich von diesem Ort wegheben.
     
    Eins wollen wir klarstellen: Es ist alles ein Traum. So oder so,
wie auch immer. Das wissen wir beide.
    Ich habe jedoch eine Wahl.
     
    Ich bin an einem langen, hohlen, widerhallenden Ort, liege im
Bett. Rund um mich sind Maschinen, tropfen etwas in mich.
Gelegentlich kommen Leute und sehen mich an. Die Decke sieht manchmal
wie weißer Gips aus, manchmal wie graues Metall, manchmal wie
rote Ziegelsteine, manchmal wie genietete Stahlplatten, die in der
Farbe von Blut gestrichen sind. Schließlich erkenne ich, wo ich
bin, innerhalb der Brücke, innerhalb ihrer hohlen
Metallknochen.
    Flüssigkeit sickert durch meine Nase in mich ein und
über einen Katheter wieder aus mir hinaus. Ich fühle mich
mehr wie eine Pflanze als ein Tier, ein Säugetier, einen Affen,
einen Menschen. Teil der Maschine. Alle Prozesse sind verlangsamt.
Ich muß einen Weg zurück finden, die Tanks explodieren
lassen, die Reißleine ziehen; aufs Gas steigen?
    Ein paar von diesen Leuten kommen mir bekannt vor.
    Dr. Joyce ist hier. Er trägt einen weißen Kittel, und
er macht sich Notizen auf einem Klammerbrett. Ich bin sicher,
daß ich vor einer Weile ganz flüchtig Abberlaine Arrol
gesehen habe… aber sie trug die Tracht einer
Krankenschwester.
    Dieses Gebäude ist lang und widerhallend. Manchmal rieche ich
Eisen und Rost und Farbe und Medikamente. Man hat mir die Spielkarte,
die mir der kleine Mann gegeben hatte, weggenommen, und auch den
Schal – ich… ich meine das Taschentuch.
    Ah, wir sind wieder da, was? Dr. Joyce lächelt mir zu. Ich
blicke zu ihm hoch, versuche zu sprechen. Wer bin ich? Wo bin ich?
Was geschieht mit mir?
    Wir haben eine neue Behandlung, sagt der Doktor zu mir, als
spreche er mit einem besonders begriffsstutzigen Kind. Möchten
Sie, daß wir sie ausprobieren? Ja? Sie könnten sich danach
besser fühlen. Unterschreiben Sie hier.
    Geben Sie her. Mit Blut, wenn Sie möchten. Ich würde
Ihnen meine Seele geben, wenn ich meinte, ich hätte eine, aber
lassen wir das. Wie wäre es mit einem Teil von ein paar
Milliarden Neuronen? Hier, ein gut eingefahrenes Gehirn, Doktor, der
Eigentümer ist besonders sorgsam damit umgegangen, hat es nicht
einmal sonntags zur Kirche getragen…
     
    Ihr Schurken, es ist eine Maschine.
    Ich muß alles, an das ich mich erinnern kann, einer Maschine
erzählen, die wie ein metallener Koffer auf einem
spindelbeinigen Wagen aussieht.
    Es dauert eine Weile.
     
    Ich und die Maschine sind jetzt allein. Eine Zeitlang waren ein
teiggesichtiger junger Mann und eine Schwester hier und sogar der
liebe gute alte Doktor, aber sie sind wieder gegangen. Nur ich und
die Maschine sind übriggeblieben. Sie fängt an zu sprechen.
»Also«, sagt sie…
     
    Hör mal, jeder kann einen Fehler machen. Soll das nicht die
Jahreszeit sein, in der… nein, vergiß es! Schon gut, schon
gut, ich hatte unrecht, mea culpa, ich vergehe vor Zerknirschung.
Willst du Blut?
     
    »Also«, sagt sie, »deine letzten Träume waren
richtig. Die Träume, die du hattest, nachdem du hier weggegangen
warst. Das bist du in Wirklichkeit.«
    »Ich glaube dir nicht«, antworte ich ihr.
    »Du
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher