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Die Brücke

Die Brücke

Titel: Die Brücke
Autoren: Ian Banks
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Blick in die dunstige Ferne
gerichtet. Ich könnte schwören, er stehe zu nahe bei mir,
zu nahe an meinen Füßen, als befänden sich seine
Füße irgendwie innerhalb der meinen. Ich liege und warte.
Er steht über mir, bemüht, sich auf den Füßen zu
halten. Plötzlich fährt ein Arm zur Seite; er versucht, das
Gleichgewicht zu bewahren. Der Helm fällt aus seiner Armbeuge in
den Sand. Der Helmschmuck, ein Wolfskopf, schreit auf.
    Die Augen des Kriegers rollen nach oben, bis nur noch das
Weiße zu sehen ist. Er bricht zusammen, fällt auf mich zu.
Ich schließe die Augen, darauf gefaßt, zermalmt zu
werden.
    Ich spüre nichts. Ich höre auch nichts. Er fällt
nicht auf den Sand neben mir, und als ich die Augen öffne, ist
da keine Spur von ihm oder dem Helm, den er fallengelassen hat. Ich
starre wieder in den Himmel auf die verwickelte Doppelspirale der
kreisenden Vögel, die der Tod sind.
     
    Meine letzte Kraft habe ich dazu benutzt, Mantel und Jacke zu
öffnen und meine Brust der unsichtbaren, sich drehenden Schraube
am Himmel zu entblößen. Eine Weile liege ich mit
ausgebreiteten Armen und Beinen da. Zwei der Vögel landen neben
mir. Ich rühre mich nicht.
    Einer von ihnen fährt mit dem Hakenschnabel über meine
Hand, springt dann zurück. Ich bleibe liegen, warte.
    Als sie nach meinen Augen hacken wollten, faßte ich sie bei
den Hälsen. Ihr Blut war dick und salzig, aber für mich
hatte es den Geschmack des Lebens.
     
    Ich sehe die Brücke. Zuerst bin ich überzeugt, es sei
eine Halluzination. Dann überlege ich, ob es eine Luftspiegelung
sein könnte, die für meine ausgedörrten, besseren
Augen wie die Brücke aussieht. Ich gehe näher heran, durch
die Hitze und über die Hänge aus haftenden, fliegenden
Körnern. Ich habe mir das Taschentuch als Sonnenschutz um den
Kopf gebunden. Die Brücke schimmert in der Ferne, eine lange,
rauhe Linie von Bogen.
    Im Laufe des Tages komme ich ihr langsam näher. Ich raste nur
kurze Zeit, als die Sonne ihren höchsten Stand erreicht hat.
Manchmal klettere ich auf eine der langen Dünen hinauf, um mich
zu vergewissern, daß sie dort ist. Ich bin keine zwei Meilen
mehr von ihr entfernt, als meine verwirrten Augen mir die Wahrheit
gestehen: Die Brücke liegt in Trümmern.
    Die Hauptabschnitte sind größtenteils intakt, wenn auch
beschädigt, aber die Verbindungsstücke, diese Bogen, diese
kleinen Brücken innerhalb der Brücke, sie sind
eingestürzt oder zerstört worden, und große Teile der
Abschnitt-Extremitäten sind mit ihnen verschwunden. Die
Brücke sieht nicht mehr wie eine Folge von in die Länge
gezogenen Sechsecken aus, sondern wie eine Reihe isolierter Achtecke.
Ihre Füße stehen noch, ihre Knochen erheben sich noch,
aber die verbindenden Arme fehlen.
    Ich sehe keine Bewegung, keinen plötzlichen Lichtschimmer.
Der Wind seufzt Sand über die Dünenränder, aber kein
Laut kommt von dem großen ockerfarbenen Skelett der
Brücke. Gebleicht und hager und gezackt steht sie im Sand,
langsame goldene Wellen schlappen gegen ihre granitenen Sockel und
unteren Bauteile.
    Dankbar trete ich endlich in ihren Schatten ein. Der brennende
Wind stöhnt zwischen den aufragenden Trägern. Ich finde
eine Treppe, steige sie hoch. Es ist heiß, und ich habe wieder
Durst.
    Ich kenne diesen Ort. Ich weiß, wo ich bin.
     
    Alles ist verlassen. Ich sehe keine Skelette, aber ich finde auch
keine Überlebenden. Auf dem Zugdeck sind ein paar alte Wagen und
Lokomotiven auf ihren Gleisen festgerostet, sind Teil der Brücke
geworden. Bis hier herauf ist Sand geweht worden und liegt
gelb-golden in den Gleisen und Weichen.
     
    Tatsächlich, das ist mein alter Lieblingsplatz. Ich habe
Dissy Pittons Lokal gefunden. Es liegt in Trümmern. Die Seile,
die früher Tische und Sitze an der Decke befestigt haben, sind
zum größten Teil durchgeschnitten worden. Couches und
Sessel und Tische liegen über den staubigen Boden verstreut wie
Leichen aus alter Zeit. Ein paar hängen noch mit einer Kante
oder Ecke fest, Krüppel zwischen den Toten. Ich gehe zum
Meeresblick-Salon durch.
    Hier habe ich einmal mit Brooke gesessen. Genau hier. Wir blickten
hinaus, und er beschwerte sich über die Sperrballons. Dann kamen
die Flugzeuge vorbei. Die Wüste gleißt unter der
hochstehenden Sonne.
    Dr. Joyces Praxis, aber nicht seine alte. Ich kenne nichts von der
Einrichtung wieder. Nun, er ist ja andauernd umgezogen. Die Markisen,
die hinter den zerbrochenen Fensterscheiben sacht hin- und hergeweht
werden, sehen
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