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Die Bruderschaft des Feuers

Die Bruderschaft des Feuers

Titel: Die Bruderschaft des Feuers
Autoren: Alfredo Colitto
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er den Dolch unter dem Kissen hervor.
    »Bertrando hat mir einen kostbaren Gegenstand gestohlen, einen antiken Papyrus, den er als Beweis benutzen wollte, um seine Beschuldigungen zu untermauern. Aber er hatte ihn nicht bei sich. Bevor er starb, hat er mir gesagt, er hätte den Brief seinem Beichtvater übergeben, als er ihm all unsere Pläne enthüllte.«
    »Oh Gott«, entfuhr es dem Capitano del Popolo, und er wusste einen Augenblick lang nicht, welchen Gott er damit meinte; jenen, an den er früher geglaubt hatte, oder diesen anderen, der vielleicht mächtiger, aber auch unerbittlicher war.
    »Ich musste persönlich eingreifen«, erklärte der Pater. »Unverzüglich. Ich habe den Beichtvater getötet, aber den Brief nicht zurückerhalten. Ich hatte ihm zwar gesagt, er solle ihn mitbringen, doch der elende Wurm hat mir nicht getraut.«
    »Den Brief?«, fragte Visdomini.
    »Der Papyrus, von dem ich eben sprach, ist der Brief eines römischen Legionärs, den dieser vor vielen Jahrhunderten geschrieben hat. Er ist meine Legitimation, die Grundlage, auf der das Wiederaufleben des Mithraskults fußt. Du musst ihn wiederbeschaffen.«
    »Ich? Aber wenn ich doch nicht einmal weiß …«
    »Ich bin noch nicht fertig«, fuhr der Pater flüsternd fort. »In der Eile habe ich meinen goldenen Anhänger mit Zurvàns Bildnis verloren. Ich habe es erst später bemerkt, und als ich mich unter großer Gefahr erneut an diesen Ort begeben habe, war er verschwunden. Jemand hat ihn an sich genommen. Du musst herausfinden, wer dies getan hat, und zwar schnell. Ich muss dir wohl nicht sagen, wie wichtig die Geheimhaltung ist in diesen letzten Wochen vor der endgültigen Läuterung. Niemand darf Verdacht schöpfen.«
    Die endgültige Läuterung war für die Nacht vom 24. auf den 25. Dezember vorgesehen, denn in dieser Nacht feierte man einst Mithras’ Geburt aus dem Fels, erst später hatten sich dann die Christen dieses Datums für ihr Weihnachtsfest bemächtigt. Und bis dahin waren es gerade noch zwei Wochen.
    »Cathrâyâim âthraiam «, raunte der Capitano del Popolo.
    »Die Enthüllung der Wahrheit durch die Feuerprobe«, sagte der Pater auf der anderen Seite des Bettvorhangs. »Ich sehe, dass du dich an diese bedeutenden Worte erinnerst. Sehr gut!«
    Visdomini dachte an all die Opfer, die beim Brand der Stadt umkommen würden, und fühlte, wie seine Hände zitterten. Aber er konnte nicht zulassen, dass sein Glaube gerade jetzt wankte. Er war dem Pater aus freiem Willen gefolgt, er hatte vom geheiligten Haoma -Saft getrunken und mit seinen eigenen Ohren die Stimme des Gottes vernommen. Das, was wie ein Massaker an Unschuldigen erscheinen konnte, war in Wahrheit die Rettung von Hunderten, vielleicht Tausenden von Seelen.
    Er lockerte den Griff um seinen Dolch. Nicht er war in Gefahr. Die ganze Welt hatte den Kampf gegen das Böse verloren, und der Weg, den der Pater wies, war die einzige Rettung. So viele Seelen wie möglich in das große Feuerschiff zu laden, welches sie ins wahre Paradies bringen würde, von dem das christliche nur ein schwacher Abglanz war. Sogar das Wort »Paradies«, das wusste er jetzt, kam von pairidaeza, was in der antiken Sprache des Avesta , des heiligen Buchs von Zarathustra, einen eingezäunten Garten bezeichnete. Zarathustra hatte einen Irrtum begangen, als er den haoma verbot, sagte der Pater häufig, aber er war trotzdem ein großer Prophet.
    »Was soll ich tun?«, fragte Visdomini nun, ohne zu zögern. »Verfügt über mich.«

ZWEI

    E s war noch dunkel, als Mondino nach einer unruhigen Nacht aufstand, in der ihm immer wieder das Bild von der verkohlten Leiche Bertrando Lambertis auf dem Stuhl vor Augen gestanden hatte. Im Halbschlaf hatte er mehrmals das Gefühl gehabt, dass ihm in Azzones Haus etwas ganz Offensichtliches entgangen war, aber er war immer wieder weggedämmert, ehe er genau benennen konnte, was dies gewesen sein könnte.
    Ihn beschäftigte, wie die beiden Frauen diesen Ton beschrieben hatten, den sie mitten in der Nacht vernommen haben wollten. Der Gesang habe sich angehört wie ein Schrei, von einer Stimme, die nicht ganz wie die eines Menschen geklungen hatte. Vielleicht war ja tatsächlich der Teufel erschienen. So wie der Leichnam zugerichtet war, konnte einem schon dieser Gedanke kommen.
    Am Vortag hatte Mondino, nachdem er die Überführung der Leiche in den Hörsaal der Medizinschule veranlasst hatte, die Arbeiten am Gebäude überwachen müssen, das demnächst den neuen
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