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Die Brillenmacherin

Die Brillenmacherin

Titel: Die Brillenmacherin
Autoren: Aufbau
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Brillenrahmen einsetzen wollen. Sie hatte sich vorgestellt, wie sie sie sanft hineindrückte, hatte sich darauf gefreut, den Rahmen zu schließen und die Öffnung sorgfältig mit einem Leinenfaden zu umwickeln. Als es soweit war für den ersehnten Augenblick, gellten Rufe im Hof. Pferdehufe stampften. Deutlich war Elias’ Stimme zu hören.
    Catherine sah die zwei Löcher in den Rohglasplatten. Sie sah die Glassplitter auf dem Boden. Sie sah den Schmirgelstaub, den Uhrensand, die Zinnasche.
    Unmöglich, daß Elias all dies nicht bemerken würde.
    Hastig preßte sie die Gläser in den Brillenrahmen. Die Tür öffnete sich, und gleichzeitig sprang Catherine auf.
    »Verzeih, Catherine, daß wir dich so lange haben warten lassen.«
    Sie trat auf Elias zu, die Brille hinter dem Rücken verborgen, und sah ihm fest in die Augen. »Ich möchte dir etwas sagen.«
    »Das wäre?«
    »Elias Rowe, du weißt, daß ich dich achte und dich innig liebe?«
    Er lächelte.
    |22| »Ich habe dich bewundert, bevor du mir überhaupt den ersten Blick schenktest. Daß du mich als deine Frau erwählt hast, hat mich zum glücklichsten Menschen gemacht.«
    »Was ist los mit dir? Warum sagst du das?«
    Sie passierte ihn und schob die Tür auf.
    Vor dem Eingang zum gemauerten Turmfundament entdeckte sie den Ritter Latimer. An seiner Hüfte hing eine breite Schwertscheide, dunkles Leder, mit silbernen Beschlägen verziert. Seine Hand lag auf dem Knauf der Waffe und schob sie beiseite, als er den Turm betrat.
    »Herr Ritter, Sir«, rief Catherine.
    Im Türrahmen wandte er sich um.
    »Bitte wartet!« Sie eilte auf ihn zu. Alles Spöttische wich aus seinem Gesicht und machte blankem Erstaunen Raum. Als sie ihn erreichte, durchbohrten sie seine hellen Augen. »Was wünscht Sie?«
    »Es ist vielleicht nicht der beste Zeitpunkt, aber ich würde mich freuen, wenn Ihr …« Sie hielt ihm auf der ausgestreckten Hand die Brille entgegen. Der Abendhimmel leuchtete durch die Gläser und malte einen grünen und einen gelben Flecken auf Catherines Hand.
    »Wann hat Elias die fertiggestellt? Er hat es mir gar nicht berichtet.« Der Ritter nahm die Brille entgegen. »Ein grünes und ein gelbes Glas, wie seltsam.«
    »Catherine!« donnerte Elias’ Stimme.
    Du hättest das nicht tun sollen, schoß es ihr durch den Kopf.
    Wie hatte sie sich einbilden können, Elias würde sich freuen, wenn sie bewies, daß sie Brillengläser schleifen konnte? Hatte er nicht deutlich gesagt, daß er das nicht wünschte?
    Der Ritter faßte den hölzernen Rahmen mit den Fingerspitzen und hob sich die Linsen vor die Augen.
    »Es … es ist nicht seine Schuld«, stammelte sie. »Ich war ungehorsam. Ich habe diese Brille hergestellt.«
    Der Ritter hielt sie nahe vor das Gesicht, dann entfernte er sie langsam und blinzelte. »Nun, das erklärt die mangelnden Fertigkeiten. Keine von Elias’ Brillen hat mir eine derart |23| schlechte Sicht beschert. Alles ist verschwommen. Sie kann mir nicht helfen.« Der Mund des Ritters straffte sich. Er reichte Catherine die Brille zurück.
    Hinter ihr zischte Elias: »Was hast du getan. Was hast du nur getan!«
    »Wartet.« Catherine berührte den Arm des Ritters, der sich abgewendet hatte, dann zuckte ihre Hand zurück. »Vergebt.«
    Er blickte auf die Stelle, wo sie ihn berührt hatte.
    »Bitte, versucht es noch ein einziges Mal.« Sie drehte die Gläser um das Nietgelenk herum, bis die Brille auf dem Kopf stand. »So herum, vielleicht geht es so.«
    Der Ritter runzelte die Stirn, aber er nahm die Brille und hielt sie sich vor das Gesicht. Seine Augen weiteten sich. Die Falten auf der Stirn verschwanden. »Das gibt es nicht. Das gibt es einfach nicht!« Thomas Latimer ging einige Schritte, blickte erneut durch die Brille. Er lief über den Hof. Das Schwert schwang an seiner Seite, klatschte ihm gegen das Bein. Am Brunnen blieb er stehen und beugte sich über die Mauer, bis er die Steine fast mit der Nase berührte. »Unglaublich. Ich sehe klar! Ich sehe jedes Sandkorn. Hier läuft ein Käfer, ein wunderschöner roter Käfer, ich kann ihn sehen, seine Beine, seine Fühler.« Er hob den Kopf. »Die Schriften.«
    Hart trat er auf Catherine zu, aber er nahm sie nicht wahr. Der wirre, kurze Haarschopf, der fiebernde Blick – sie wich zurück. Ohne ein Wort verschwand er im Turm.
    Sie sah sich nach Elias um. In seinem Gesicht kämpften Zorn und Entsetzen: Die Augen funkelten böse, aber der Mund stand offen wie bei einem Kind.
    Kein Gefühl des Triumphes,
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