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Die Bräute des Satans

Die Bräute des Satans

Titel: Die Bräute des Satans
Autoren: Uwe Klausner
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nicht mehr viel zu tun, und er war froh, wenigstens heute vom Sägen, Hämmern und Meißeln verschont zu bleiben.
    Um seine Stimmung abzuschütteln, schloss Bruder Hilpert die Tür und steuerte auf den schräg gegenüberliegenden Kapitelsaal zu. Leider nicht schnell genug, wie er zu seinem Bedauern konstatierte.
    »Bruder Hilpert, Bruder Hilpert«, hörte er den Pförtner unter Verletzung des Schweigegebots schon von Weitem schwäbeln, »de Bruder Severus isch fort.«
    Beim Anblick des Mondgesichts, das mit Laterne, zerzaustem Haarkranz und wehendem Habit auf ihn zustürmte, musste Bruder Hilpert wider Willen schmunzeln. Bruder Thaddäus war einfach ein Original, seiner Zerstreutheit und sonstigen Schrullen zum Trotz. »Gemach, gemach«, redete er ihm gut zu, während sich der Strom der übrigen Brüder in den Kapitelsaal ergoss. »Bestimmt wird sich alles zum Guten wenden.«
    »Des glaub i net«, keuchte Bruder Thaddäus, setzte seine Augengläser auf und schraubte sich zu dem fast zwei Köpfe größeren Bibliothekarius empor. »Dem isch bschtimmt was bassiert. I hen fai e ganz miserab… ich habe allenthalben ein … äh … ich habe ein ver…«
    »… schlechtes Gefühl!«, vollendete Bruder Hilpert, der nicht wusste, ob er die Gemütsverfassung des Pförtners belächeln oder sich tatsächlich Sorgen machen sollte. »Und weshalb?«
    »Weil i den alde Bruddler seit heit Morga … nix fir ôguat, Bruder … weil ich den alten Griesgram seit den Vigilien nicht mehr gesehen habe, darum.«
    Bruder Hilpert, der aus alldem nicht recht schlau wurde, legte die Stirn in Falten und bugsierte den Pförtner auf die Pforte des Kapitelsaales zu. Gerade heute wollte er nicht der Letzte sein, und so ließ er es bei einem aufmunternden Klaps bewenden. »Also gut«, versprach er, bevor er an der Stirnseite des U-förmigen Eichentisches Platz nahm. »Ich werde mich darum kümmern.«
    »Wirklich?«
    »Versprochen, Bruder Thaddäus«, beruhigte Bruder Hilpert das aufgebrachte Unikum, sandte ein Stoßgebet zum Himmel und begab sich auf seinen Platz. Das kann ja heiter werden!, dachte der Bibliothekarius, doch es sollte noch schlimmer kommen.
    Schlimmer, als er es sich hätte vorstellen können.
     
    *
     
    Zu Beginn des Kapitels, bei dem außer Bruder Severus und dem Prior niemand fehlte, war die Welt allerdings noch in Ordnung. Bruder Hilpert sprach den Segen, die Brüder nahmen Platz und der Rezitator begann mit der Lesung. So weit, so gut. Da das Kapitel über die Demut eines der umfangreicheren war, blieb Bruder Hilpert Zeit, die Gesichter seiner Mitbrüder zu betrachten. Auch hier nichts Ungewöhnliches, von Gefühlsregungen oder gar Unmut keine Spur. Folglich alles so wie immer, zumindest dem Anschein nach. Der Grund, weshalb sein Unbehagen binnen Kurzem verschwand und er sich voll und ganz auf den Rezitator konzentrierte. »Wenn also die Augen des Herrn über Gute und Böse wachen«, hallte seine Stimme von den Wänden wider, über denen sich das opulente Sternengewölbe erhob, »dann, Brüder, müssen wir uns zu jeder Stunde in Acht nehmen, damit Gott uns nicht irgendwann einmal als abtrünnig und verdorben ansehen muss, wie der Prophet im Psalm sagt.«
    Vielleicht lag es daran, dass der Rezitator kurz Luft holte, bevor er mit der Lesung fortfuhr. Eventuell auch daran, dass Bruder Gervasius, der Cellerar, überhaupt nicht bei der Sache war. An dem Eklat, der sich anbahnte, änderte dies jedoch nichts. Ein Eklat, der in den Annalen der Abtei seinesgleichen suchte.
    Die Kunstpause, oder worum immer es sich gehandelt haben mochte, war jedenfalls vorüber und der Rezitator bereits beim nächsten Abschnitt, als das Unfassbare geschah. Bruder Gervasius, hinter vorgehaltener Hand ›Lukullus‹ genannt, stemmte seinen Rumpf in die Höhe und rief: »Nehmt euch in Acht, Brüder – das Böse geht um!«
    Die Anwesenden, und mit ihnen der Rezitator, der vor Schreck aschfahl geworden war, hielten den Atem an. Solange die Lesung nicht beendet war, durfte niemand das Wort ergreifen. Das war ein ungeschriebenes, über die Jahrhunderte praktiziertes Gesetz. Wer dagegen verstieß, musste mit ernsthaften Konsequenzen rechnen. Oder, wie im Falle von Bruder Gervasius, schwerwiegende Gründe haben.
    Da Bruder Hilpert im Bilde war, hielt sich seine Verblüffung in Grenzen. Genau genommen wusste er nicht, was ihn mehr ärgerte: der eklatante Verstoß gegen die Ordensregeln oder der Umstand, seine Zeit mit einer Lappalie vergeuden zu müssen –
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