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Die Botschaft des Feuers

Die Botschaft des Feuers

Titel: Die Botschaft des Feuers
Autoren: Katherine Neville Charlotte Breuer Norbert Moellemann
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Falke aus dem Schilfrohr direkt vor den sich aneinanderdrängenden Mädchen auf, flog lautlos an ihnen vorbei, um im morgendlichen Zwielicht seine Beute zu jagen. Dann erstarben die Schreie, und die Fackeln
erloschen, als hätte der Nebel sie verschluckt. Der dunkle See lag still und silbrig glänzend vor ihnen - und diese Stille war bedrohlicher als all die Schreie zuvor.
    Hatte es begonnen?
    Hier auf ihrer schwankenden Holzbrücke, geschützt nur vom dichten Schilf, das sie umgab, wussten die Odalisken und ihr junger Schützling nicht, was sie tun sollten: Sollten sie in den Harem auf der winzigen Insel zurückkehren oder lieber zu dem dampferfüllten Hamam am Seeufer gehen, wohin sie die Tochter des Paschas - eiligst und unter Androhung von Strafe - bringen sollten? In der Nähe des Hamam warteten Reiter, die Haidée zu Pferde und im Schutz der Dämmerung zu ihrem Vater begleiten sollten.
    Einen solchen Befehl hatte der Pascha noch nie erteilt, und sich ihm zu widersetzen war undenkbar. Für den bevorstehenden Ritt trug Haidée eine dicke Kaschmirhose und pelzgefütterte Stiefel, aber ihre Odalisken, in Unentschlossenheit erstarrt, zitterten vor Angst und Kälte. Haidée, die behütet aufgewachsen war, konnte sich denken, dass diese ahnungslosen Mädchen vom Land viel lieber in den Schutz des warmen Harems zurückkehren würden, wo sie sich unter all den anderen Sklavinnen und Konkubinen wohler fühlten als hier draußen am See in der eisigen Winterkälte, wo alle möglichen Gefahren lauerten. Im Grunde ging es ihr nicht anders.
    Im Stillen betete Haidée um ein Zeichen, das ihr eine Erklärung für die Angstschreie geben würde.
    Dann, als wäre ihr Gebet erhört worden, sah sie durch den dunklen Morgennebel hindurch das Feuer, das wie ein Warnsignal aufflackerte und den gewaltigen Palast des Paschas erleuchtete. Errichtet auf einer Halbinsel, wirkte der weiße Palast mit seinen Zinnen und spitzen Minaretten, die im Nebel schimmerten, als würde er sich direkt aus dem Wasser
erheben. Demir Kule, das Eisenschloss. Es war Teil einer von Mauern umgebenen Festung, dem Castro, die am Ende des sieben Kilometer langen Sees gelegen und darauf ausgelegt war, einem Ansturm von zehntausend Soldaten standzuhalten. In der seit zwei Jahren andauernden Belagerung durch die osmanischen Türken hatte sie sich als uneinnehmbar erwiesen.
    Ebenso uneinnehmbar war das zerklüftete Bergland - Skiperia, das Land des Adlers -, ein wildes, unbezwingbares Gebiet, beherrscht von einem wilden, unbezwingbaren Volk, das sich selbst Toska - »rau« - nannte, nach dem rauen vulkanischen Bimsstein, der dieser Landschaft ihr Gesicht verlieh. Die Türken und Griechen nannten das Land Albanien - das Weiße Land -, nach den schneebedeckten Bergen, die es gegen Angriffe vom Land und vom Meer her schützten. Seine Einwohner, die älteste Rasse Südosteuropas, sprachen immer noch ihre eigene uralte Sprache, die noch älter war als Illyrisch, Mazedonisch oder Griechisch und an keinem anderen Ort der Welt sonst verstanden wurde.
    Und der Wildeste von allen war Haidées Vater, der rothaarige Ali Pascha - Arslan, »der Löwe«, wie er seit seinem vierzehnten Jahr genannt wurde, als er in einer Blutfehde zusammen mit seiner Mutter und einer Gruppe von Briganten den Tod seines Vaters gerächt und die Stadt Tepelena zurückerobert hatte. Dies war der erste von zahlreichen ähnlich wagemutigen Siegen.
    Jetzt, fast siebzig Jahre später, besaß Ali Tepelena, der Wali von Rumelien und Pascha von Ioannina, eine Seemacht, die es mit der von Algier aufnehmen konnte, und er hatte alle Küstenstädte bis hin nach Parga erobert, die einst zum venezianischen Reich gehört hatten. Er fürchtete sich vor keiner Macht, weder aus dem Osten noch aus dem Westen, und er
selbst war im riesigen Osmanischen Reich nach dem Sultan von Konstantinopel der mächtigste Mann. Eigentlich war er viel zu mächtig, und das war das Problem.
    Seit Wochen hatte sich Ali Pascha zusammen mit einer kleinen Gefolgschaft, bestehend aus zwölf seiner engsten Getreuen sowie Haidées Mutter Vassiliki, seiner Lieblingsfrau, in einem Kloster auf einer Insel mitten in dem riesigen See zurückgezogen. Er wartete auf die Begnadigung durch Sultan Mahmud II. von Konstantinopel. Eine Begnadigung, die bereits seit acht Tagen überfällig war. Seine einzige Lebensversicherung waren die steinernen Mauern von Demir Kule. Die Festung, bestückt mit sechs Batterien britischer Mörser, verfügte außerdem über
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