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Die Botschaft Der Novizin

Die Botschaft Der Novizin

Titel: Die Botschaft Der Novizin
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Francesca nicht glaubte. Da sie die Äbtissin an ihrem Gang erkannt hätte, konnte sie diese ausschließen. Suor Immacolata litt nämlich an einer schiefen Hüfte und humpelte. Die Fragen standen wie Drohungen in der Dunkelheit: Wer war die Person, die hinter ihr herschlich? Woher wusste sie von ihrer Entdeckung? Hatte man sie verraten?
    Ihr einziger Trost war, dass sie rechtzeitig vorgesorgt hatte.
    Die Glocke der Klosterkirche und der umliegenden Gotteshäuser rissen sie aus ihren Überlegungen. Ihre Schläge riefen zur Vigil, dem nächtlichen Stundengebet. Es musste also gegen zwei Uhr morgens sein. Alle Klosterkirchen der Stadt erwachten um diese Zeit zu einem gespenstischen Leben und weckten ihre Bewohner zum Dienst des Herrn. Bald würde ein vielstimmiger Choral gen Himmel steigen. Auch in San Lorenzo regte sich in den Zellen des Dormitoriums das Leben. Zuerst hörte Suor Francesca das Erwachen und Aufstehen der Schwestern wie anschwellendes Rauschen, dann wurden die Türen geöffnet. Licht brach in die Finsternis. Die Schwesterntrugen anfänglich jede eine Kerze. Auch Suor Francesca holte einen Stumpen aus einer Tasche in ihrem Ärmel. Sie wartete, bis sich die Nonnen im Treppenabgang sammelten und zum Chor eilten, dann huschte sie aus ihrem Versteck und reihte sich, vom Abtritt her kommend, in die Prozession ein.
    Alle Schwestern trugen ihr Licht vor sich her, die müden Mienen beleuchtet von den flackernden Kerzen. Als die Prozession kurz ins Stocken geriet, drehte Suor Francesca sich zu ihrer Nachbarin um und entzündete ihre Kerze an deren Flamme. Das fiel nicht weiter auf, da die zugigen Gänge die Lichter gerne löschten.
    Während ihre Mitschwestern verschlafen zum Chor stolperten, spähte Suor Francesca aufmerksam umher. Doch sie konnte an keiner der Frauen Anzeichen eines nächtlichen Aufenthalts außerhalb der Zelle entdecken. Nur ihr eigener Chorrock zeigte den dunklen Ring ihres Aufenthalts im knietiefen Wasser.
    Am Zugang zum Nonnenchor erwartete sie Suor Immacolata. Diese ließ die Nonnen an sich vorbei und betrat den Raum als Letzte. Nur zwei Gitter links und rechts des Altarbildes gaben den Blick in den Altarraum der Kirche frei. Suor Francesca konnte hören, wie der Hauspriester mit den Schellen die Lobgesänge einläutete, sehen konnte sie ihn nicht.
    Suor Immacolata begann laut mit der Textstelle »Herr öffne meine Lippen, damit mein Mund dein Lob verkünde«. Während sie inständig darum bat, dass der Herrgott ihren Mund über ihrem Geheimnis verschließen sollte, entriegelte Suor Ablata die metallenen Bügel der Neumenhandschrift des Klosters und schlug das Buch auf. Danach trat sie zurück in die Reihen der Frauen und intonierte den ersten Psalm zur Gebetseinladung. Suor Francesca liebte die Hymnen, die Lobgesänge zur Vigil, wenn sich die hellen Stimmen der Frauen zu einem reinen Ton fanden und sammelten und hinausstrahlten in die Welt. Dahinein konnte sie ihre Kraft legen, und sie spürte ein wenig vom Atem Gottes durch sie hindurchströmen und in ihrem Innersteneine Saite anschlagen. Sie wusste, dass selbst zu dieser Zeit in der Kirche Menschen saßen und den betörenden Klängen lauschten, die den Kehlen der verborgenen Frauen entströmten. Der Chorgesang gehörte zum Opus Dei, zum Tagwerk der Schwestern an Gott, und war für Suor Francesca gleichzeitig eine Sünde, denn sie genoss die Melodien zum Lob des Herrn und der Mutter Kirche mit jeder Faser ihres Leibes.
    Das Stundengebet hindurch blieb die Neumenhandschrift mit ihren großen bildgefüllten Initialen geöffnet. Mutter Ablata, die älteste Nonne im Kloster, blätterte um. Schlief sie ein, was öfters geschah, musste man sie wecken, denn einer Regel zufolge durfte niemand anderer außer der Äbtissin und Mutter Ablata die Handschrift berühren. Sie gehörte zu den kostbarsten Besitztümern des Hauses.
    Suor Francesca ließ sich vom Gesang tragen. Nur zwischendurch, wenn der Priester vor dem Gitter seine Lesung nach den Psalmen abhielt, zählte sie die Schwestern. Fünfzig Frauen standen und knieten hier. Keine von ihnen fehlte heute.
    Eine halbe Stunde später ließ das Zuklappen der Neumenhandschrift Suor Francesca aufschrecken und aus den Sphären des Klangs in das Dunkel des Nonnenchors zurückkehren. Die Schwestern um sie her begannen leise zu flüstern. Einige drückten sich an das Gitter, das den Chor abschloss, um hinaus in den Altarraum zu blicken.
    »Habt Ihr gehört, Francesca? Man sagt, ein neuer Prediger habe
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