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Die Botschaft Der Novizin

Die Botschaft Der Novizin

Titel: Die Botschaft Der Novizin
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blickten kindlich ernst. Sie legte den Finger auf die Lippen und deutete auf eine der Türen, ohne ein Wort zu sagen. Isabella sah den Türgriff undeutlich. Sie stürzte auf den Durchgang zu, drückte die Klinke und stand unversehens in einer Kapelle.
    Durch den Tränenschleier hindurch, der alles vor ihren Augen verschwimmen ließ, erkannte sie einen schlichten Holzsarg, in dem eine Leiche aufgebahrt lag. Auf grobes Linnen gebettet ragte ein kleines Gesicht daraus hervor, spitz und mit halb geöffneten Augen.
    Isabella musste sich mit dem Ärmel über ihre Augen wischen, bevor sie glaubte, was sie sah. Dabei gerieten ihr einzelne abgeschnittene Haare in die Augen, sodass sie das eine schließen musste, weil es noch schlimmer zu tränen begann.
    »Tante?«, flüsterte sie und ging einen Schritt näher. Es konnte kein Zweifel bestehen. »Suor Francesca?« Sie hatte die Tante meist nur durch das Gitter des Besuchszimmers gesehen, doch sie kannte die Schwester des Vaters gut genug, um alle Zweifel zu zerstreuen. Das musste Suor Francesca sein. »Tante!«, wiederholte sie lauter, doch die Gestalt im Sarg rührte sich nicht. Die Hände der Leiche lagen nicht, wie sonst üblich, gekreuzt auf ihrem Bauch, sondern reckten sich noch in Leichenstarre halb aus dem Sargtrog. Isabella nahm eine Hand in die ihre und drückte sie sanft, doch die Kälte in diesen Fingern ließ sie aufschreien. Es war der Tod, den sie berührt hatte.
    Als würden ihre Augen von einem Moment auf den anderen hin austrocknen, sah sie plötzlich den Leichnam klar und schonungslos vor sich. Sie sah eine blaue Zunge, sah Schmutz unter den Fingernägeln und auf der Kleidung, sah ihren angstvoll verzogenen Mund, als hätte die Verstorbene im Augenblick des Todes den Teufel persönlich erblickt, sah das Druckmal am Hals – und roch endlich auch den Leichnam. Er stank nach Urin und Fäkalien, was bedeutete, dass er noch nicht gewaschen worden war.
    Isabella sah sich nach dem Mädchen um. Das war verschwunden, als wäre Isabella nur einer Erscheinung aufgesessen. Sie spürte noch immer die warme Berührung der Finger auf dem Handrücken.
    »Hier seid Ihr, Isabella Marosini. Ihr dürft hier nicht sein. Kommt mit. Das ist kein Anblick!«
    Suor Maria war hinter sie getreten.
    »Das ist meine Tante. Meine Tante!«, wiederholte Isabella, fühlte sich jedoch im Moment so schwach, dass sie sich willenlos von diesem toten Körper wegführen ließ. Suor Maria schloss hinter ihr die Tür zur Kapelle und führte sie zurück in den Raum, in dem die Umkleidung stattfand.
    Auf dem Weg dorthin trat Suor Maria vor Isabella hin und sah ihr ins Gesicht.
    »Jetzt hört mir genau zu, Isabella Marosini. Ihr habt eben nichts gesehen. Versteht Ihr mich? Ihr habt nichts und niemanden gesehen und werdet folglich mit niemandem darüber reden! Versprecht es mir.«
    Mechanisch nickte Isabella. Was sollte das? Sie wusste doch, was sie gesehen hatte. Warum sollte sie ihre Tante leugnen? Nervös sah sie sich um. Wo war das Mädchen, das sie in die Kapelle geleitet hatte?
    Suor Maria schien ihre Gedanken zu erraten und drückte ihr das Handgelenk, sodass sie vor Schmerzen aufschrie. »Nichts habt Ihr gesehen, wenn Euch Euer Leben lieb ist!«, zischte sie. Dann zog sie Isabella hinter sich her.
    Erst kurz vor dem Raum, in dem sich die Nonnen befanden, kam Isabella zu sich.
    »Warum?«, fragte sie nur, doch Suor Maria legte einen Finger auf die Lippen und schüttelte den Kopf.
    »Später!«, flüsterte die Nonne.
    Der weißliche Riss in der Tür stammte von Isabellas Ungestüm. Es war eines der vielen Zeichen der Marter, mit dem dieses Türholz versehen worden war. Die beiden alten Nonnen saßen ungerührt am Tisch wie bei ihrer ersten Begegnung. Zu oft schon hatten sie solch einen Anfall erlebt, als dass dieser ihnen die Ruhe geraubt hätte.
    Isabella bemerkte beim Eintreten einen kurzen Blick des Einverständnisses zwischen Suor Maria und den beiden Alten. Die junge Chornonne schloss kurz die Augen und bewegte den Kopf einmal hin und her.
    Signora Artella lächelte sie wohlwollend an, als tadle sie das Verhalten eines kleinen, noch unverständigen Kindes, ohne es dafür ernsthaft zu bestrafen.
    »Du wirst dich daran gewöhnen, Kind«, sagte sie sanft. »Es ist warm unter der Haube. Du wirst sehen, es ist bequemer so.« Isabella biss die Lippen aufeinander. Sie wollte nicht verständig sein, wusste jedoch keinen Ausweg.
    »Du wirst für deine Unbotmäßigkeit um Vergebung bitten und Buße
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