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Die Bogenschützin: Roman (German Edition)

Die Bogenschützin: Roman (German Edition)

Titel: Die Bogenschützin: Roman (German Edition)
Autoren: Martha Sophie Marcus
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sich nicht freigeben lassen. Der Greifvogel folgte Hedwig in den Baumkronen und ließ sich bei jeder Rast bettelnd in ihrer Nähe nieder, den ganzen Weg bis zu ihrem ersten Ziel, dem Kloster.
    Der Abt des Zisterzienserklosters St. Michaelis, dem Richard vor langer Zeit all seine Habe überlassen hatte, hielt ein Pferd bereit, das ein Nachfahr seines Streitrosses war. Das Kloster hatte das Pferd für die tägliche Arbeit nutzen dürfen, bis Richard kommen und es zurückverlangen würde. Hedwig hoffte, dass der Abt den Hengst nun stattdessen ihr geben würde und dass ihre wenigen Reitstunden ausgereicht hatten, um mit ihm zurechtzukommen. Nur wenige Male hatte Richard vom Kloster ein Reitpferd ausgeborgt, um ihr das Nötigste beizubringen.
    St. Michaelis lag auf einer sich allmählich ausweitenden Lichtung und war nicht mehr als ein Bauernhof mit einer winzigen Kapelle. Sechs Mönche lebten und beteten dort, rodeten Wald und legten Felder an, um den Reichtum ihrer Kirche zu mehren und dem Allmächtigen damit wohlgefällig zu sein. Einer von ihnen zog eben Wasser aus dem Brunnen, als Hedwig die Lichtung betrat. Zu ihrer Erleichterung war das Habichtweibchen endlich ein wenig zurückgeblieben. Richard hatte ihr eingeschärft, dass es nicht jedem zustand, einen Beizvogel zu besitzen. So gern Hedwig Isolde auch behalten hätte, konnte das Tier doch Schwierigkeiten bereiten.
    Der Mann beim Brunnen war nicht Abt Claudius, sondern einer der fünf Mönche, denen sie zuvor nie begegnet war. Ihr schlug das Herz bis zum Hals, als sie sich ihm näherte. Es war ihr in den vielen Jahren, die sie allein mit Richard verbracht hatte, fremd geworden, auf Menschen zuzugehen. Doch immerhin hatte ihr Ziehvater Wert darauf gelegt, dass sie nicht vergaß, wie sie sich Fremden gegenüber zu benehmen hatte.
    Tapfer holte sie Luft und sprach den Mönch an, bevor er sich zu ihr umgewandt hatte. » Gott zum Gruß, Bruder. Ich wünsche Euch einen gesegneten Tag.«
    Der Mann ließ die Brunnenkurbel los, fuhr herum, dass seine braune Kutte wirbelte, und ergriff mit beiden Händen das Joch für die Wassereimer wie eine Waffe. » Weiche von mir!«, sagte er.
    Verwirrt wollte Hedwig ihn beschwichtigen, doch ihr Hund, der sie bisher folgsam und so gut wie unsichtbar begleitet hatte, fasste die Geste des Mönches als Bedrohung auf. Mit gesträubtem Fell und gebleckten Zähnen baute er sich vor ihr auf und knurrte den Mann an.
    Dieser blieb mit seinem Joch in Händen standfest, riss jedoch die Augen weit auf. » Verschwinde!«, schrie er schrill.
    Hedwig schüttelte verständnislos den Kopf. Warum fürchtete sich der Mann vor ihr? Sie hatte sich Mühe mit ihrer äußeren Erscheinung gegeben, so wie Richard es sie gelehrt hatte. Natürlich trug sie viel Gepäck, doch ihr Haar war aufgesteckt und mit der Kapuze ihrer leichten Gugel bedeckt, ihr gutes, graues Überkleid hatte keine Flecken, und der weite Rock bedeckte ihre Beine bis zu den Fuchsfellstiefeln. Nicht einmal barfuß war sie gegangen, wie sie es sonst bei diesem Wetter getan hätte. War es am Ende nur ihr Hund, der ihm Angst machte? Hedwig wusste, dass Tristan den Mönch nicht angreifen würde, solange dieser nicht vorher angriff. Es sei denn, sie befahl es ihm.
    » Ich möchte zu Abt Claudius. Könnt Ihr ihn holen? Der Hund wird Euch nichts tun«, sagte sie.
    Eine Antwort gab er ihr nicht, nicht einmal ein Nicken, aber immerhin setzte er sich in Bewegung. Ohne den Blick von ihr zu lösen, ging er mit erhobenem Joch rückwärts zur Kapelle und flüchtete sich hinein. Hedwig hörte ihn darin mit jemandem sprechen, und eine Weile darauf kam Abt Claudius aus der Tür.
    Er sah nicht erfreut aus, als er sie sah, doch auch nicht ängstlich. In einigen Schritten Entfernung von ihr und dem Hund verneigte er sich. » Gottes Segen. Ist Euer Ziehvater nicht wohl, edle Jungfer?«
    Hedwig wappnete sich, um mit fester Stimme zu sprechen. » Er ist gestorben. Und mich hat er auf eine Reise geschickt, für die ich Eure Hilfe brauche. Ich hoffe, Ihr werdet sie mir gewähren, Abt Claudius.«
    Falls der Abt über die Nachricht von Richards Tod betroffen war, zeigte er es nicht. Er nickte würdevoll. » So wie ich es mit Herrn von Restorf besprochen habe. Obgleich ich denke, dass Ihr mit dem Pferd… Nun, darüber müsst Ihr selbst entscheiden. Ich habe Anweisungen, was ich Euch auszuhändigen habe, und vertraue darauf, dass Ihr Euch, wenn Ihr zu Eurem angestammten Recht und Wohlstand gekommen seid, unserer
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