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Die Bogenschützin: Roman (German Edition)

Die Bogenschützin: Roman (German Edition)

Titel: Die Bogenschützin: Roman (German Edition)
Autoren: Martha Sophie Marcus
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sie gekommen war.
    Am anderen Ufer eines Waldsees sah sie Rauchschwaden aufsteigen. Der Rauch war seltsam hell, so weiß wie ihr Atemhauch, und ein Feuerschein war nicht zu sehen. Aber wo Rauch war, musste auch Wärme sein, deshalb umwanderte sie den See. Hätte es nicht nach schwelendem Holz gerochen, hätte sie nun vielleicht wirklich gedacht, dass es sich um Atem handelte, denn die Schwaden stiegen von drei großen Hügeln auf, die in der Dunkelheit dalagen wie riesige, kauernde Tiere. Drei Drachen, die zusammengerollt hier im Wald schliefen.
    Hedwig spürte die Hitze, die von ihnen ausging. An einer besonders warmen Stelle des einen ließ sie sich nieder und schmiegte sich an seine Wölbung, um auszuruhen. Es war so angenehm, dass sie sich die nassen Schuhe auszog und ihre Füße wärmte, bis das Leben in die Zehen zurückkehrte. Der Schmerz und der Gedanke an die Amme trieben ihr wieder die Tränen in die Augen.

    Als der Köhler zurückkehrte, um seine Meiler ein letztes Mal in dieser Nacht zu überprüfen, sah er nicht das schlafende Kind zuerst, sondern die kleinen, ruinierten, doch einst kostbaren Lederschuhe, die am Fuße des ersten Meilers lagen. Gerade dieser hatte ihm in den Vortagen viel Ärger gemacht. Erst wollte sich die Schwelung darin nicht gleichmäßig ausbreiten, sodass er ständig Luftlöcher hatte stechen und wieder verschließen müssen. Dann hatte der blaue Rauch verraten, dass es im Inneren des Holzhaufens brannte. Verhext hatte er das Ding genannt, und nun stand er da und starrte auf das Häufchen Mensch, das aus ihm herausgewachsen zu sein schien. Wenn es denn ein Mensch war und keine Fee oder Schlimmeres. Teure Schuhe hatte es mitgebracht, und das hellblaue Kleid, das unter dem einfachen grauen Wollmantel hervorlugte, war nicht weniger fein.
    Was bekam ein armer Mann, der sechs Mäuler zu stopfen hatte, dafür, wenn er der Burgherrin von Friesack ihr Kind zurückbrachte? Mehr jedenfalls, als er in einem Jahr für seine Köhlerei erhielt, so viel war gewiss.
    » Holla, du«, sagte er und stieß das Kind mit dem Störhaken an, bis es aus dem Schlaf hochfuhr.

    Hedwig erzählte dem Schwarzen Mann, dass ihre Mutter nicht mehr auf Friesack sei, dennoch ging er nachsehen und ließ sie bei seiner Frau und seinen Kindern in der Hütte. Das spelzige Brot, das die Frau ihr reichte, brachte sie kaum herunter, aber immerhin fühlte sie sich sicher. Das änderte sich, als der Mann wiederkehrte. Sie begrüßte ihn aufgeregt, woraufhin er sie wütend ohrfeigte, nicht anders, als er seine Frau und seine Kinder schlug. » Unnütz«, schrie der Köhler sie an. » Unnütz bist du!« Und er schlug sie noch einmal, so hart, dass sie stürzte.
    Von da an sprach Hedwig kein Wort mehr mit ihm und auch keines mit seiner Frau oder seinen Kindern, die sie nun ebenso unfreundlich und grob behandelten wie er. Sie sprach nicht, als sie statt ihres Kleides Kohlensäcke anziehen musste und ihr Kleid auf dem Balken verwahrt wurde. Nicht, als die Kinder hohnlachend an ihren blonden Zöpfen zogen und sie mit Ruß einrieben, weil ihre Haut so weiß war. Nicht, als sie gezwungen wurde, die gleiche harte Arbeit zu tun wie alle, obwohl sie zierlicher war und unter den Wassereimern, die sie zu den Meilern schleppen musste, beinah zusammenbrach. Sie sprach nicht, und sie weinte nicht, denn so jung sie war, kannte sie ihren Stand. Das Gesindel würde seine Strafe erhalten, wenn die Männer ihres Vaters sie fänden und befreiten.
    Der Taumonat Hornung verging, aber der Winter zeigte sich mit Schneestürmen und scharfem Frost noch auf dem Höhepunkt seiner Macht. Niemand erschien, um nach Hedwig zu fragen, die wie die anderen Kinder im hohen Schnee dabei helfen musste, den ausgeschwelten Meiler abzubauen und die Kohle in Säcke zu schaufeln.
    Eines Tages erwachte sie in ihrem Winkel der Laubschüttung, auf der die Kinder ihr Ruhelager hatten, und schrie auf. Ein Monster stand über sie gebeugt und gaffte sie mit glänzenden Augen an. Es ging auf zwei Beinen und war doch von oben bis unten mit braunem, zottigem Fell bedeckt. Hedwig wusste gleich, dass es sich um ein Wesen handelte, vor dem sie immer gewarnt worden war: Es war ein Wilder Mann, einer, der im Wald wie ein Tier lebte und dabei vergessen hatte, dass er ein Mensch war. Er hatte eine so gewaltige Mähne um seinen Kopf, dass außer den Augen und der Nasenspitze von seinem Gesicht nichts mehr zu erkennen war. In der Hand trug er einen knorrigen, langen Ast.
    Sie holte tief
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