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Die Blutnacht: Roman (German Edition)

Die Blutnacht: Roman (German Edition)

Titel: Die Blutnacht: Roman (German Edition)
Autoren: Tim Willocks
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vor vom Gedanken ihrer eigenen Wichtigkeit verzaubert, und ihre niedrigsten Gefühle bewegten die Räder der Geschichte. Die Herrscher Frankreichs waren auch nicht korrupter und unfähiger als diejenigen, die anderswo regierten, aber weil Tannhäuser dieses Land lieben gelernt hatte, stürzten ihn deren Verbrechen in größere Verzweiflung. Seine Laune besserte sich ein wenig, als der Wein und die Pastete erschienen.
    Die Dienstmagd war sich nicht sicher, ob Grégoire auch an der Mahlzeit teilnehmen sollte. Als Tannhäuser das kundtat, war der Junge überraschter als sie. Die Pastete war fett, saftig und köstlich. Grégoire schien nicht so gut gegessen zu haben, seit er Milch aus der Mutterbrust getrunken hatte, wenn er dieses Vergnügen überhaupt je genossen hatte. Tannhäuser hatte aus einer Laune heraus das Schicksal des Jungen gewendet. Als er selbst ein Kind gewesen war, hatte auch sein Leben durch den plötzlichen Impuls eines Mannes eine völlig andere Wendung genommen. Er hätte sich einen weniger verunstalteten Jungen auswählen können, der ihm vielleicht größeres Ansehen verschafft hätte, aber sein Herz rebellierte gegen diese Vorstellung. Er hatte diesen Jungen ausgesucht, und er würde ihn anständig behandeln.
    Grégoire bekam einen gewaltigen Hustenanfall. Als er puterrot und dann beinahe schon blau anlief, stand Tannhäuser auf und schlug ihm fest mit der flachen Hand zwischen die Schulterblätter. Ein Brocken der Pastete flog über den Tisch, und der Junge keuchte schwer. »Nimm kleine Bissen und kaue zwölfmal. Du kannst doch bis zwölf zählen?«
    »Ich kann bis fünfzig zählen.«
    »Dann bist du gelehrter als die meisten, aber zwölf reicht.«
    Während Grégoire diese Anweisungen befolgte, fiel sein Blick auf etwas hinter Tannhäusers Schulter. Wieder errötete er und senkte beschämt die Augen. Tannhäuser drehte sich um.
    Am Nebentisch kicherten zwei Studenten und ahmten die Sprechweise eines Schwachsinnigen nach. Zwei junge Mädchen saßen bei ihnen, schienen von den Possen ihrer Begleiter allerdings wenig beeindruckt zu sein. Tannhäuser wischte sich den Mund mit dem Handrücken ab und starrte die Studenten an. Die jungen Leute waren wohl vom Wein schon recht angeschlagen, denn auch dies schien sie zu belustigen.
    »Wenn ihr Missgeschicke lustig findet, dann kann ich euch einigen Grund zum Lachen geben.«
    Auch dies rief wieder ein Kichern hervor, diesmal allerdings eher aus Nervosität. Im Nu war Tannhäuser aufgestanden und hatte einen der jungen Männer bei der Gurgel gepackt. Der andere torkelte von der Bank, aber Tannhäuser griff ihn gerade noch beim Schopf. Er zerrte sie zur Tür und auf die Straße.
    Er schleppte sie zu der offenen Kloake, wo Berge von Unrat in Tümpeln lagen. Er rammte die Schädel der beiden Studenten zusammen und ließ sie ausgestreckt im Mist liegen. Dann kehrte er zur Taverne zurück. Im Türrahmen stand das größere der beiden Mädchen. Es hatte die Fäuste geballt. Tannhäuser bemerkte, dass die Finger beider Hände tintenverschmiert waren. Das Mädchen reckte das Kinn vor.
    »Warum habt Ihr das gemacht?«
    Die Augen des Mädchens waren dunkel und wild, ihr Haar war rabenschwarz und kurz geschnitten. Sie war mager. Tannhäuser schätzte ihr Alter auf etwa dreizehn Jahre. Sie war nicht eigentlich hübsch, aber an Temperament fehlte es ihr nicht, und das fand er viel wichtiger. Sie trug keine Schminke, die Wut hatte ihre Wangen gerötet.
    Tannhäuser senkte höflich den Kopf. »Eine kleine Lektion in Benehmen kann den beiden nur guttun.«
    »Benehmen?«
    Sie schien damit anzudeuten, dass seine Manieren auch zu wünschen übrig ließen.
    »Du vergisst, dass ich sie gebeten habe, sich zu entschuldigen.«
    »Sie waren grausam zu Eurem Jungen. Aber Ihr habt sie angegriffen, ehe sie eine Möglichkeit zu antworten hatten.«
    »Du wirst mir verzeihen, dass meine Erinnerung da anders ist.«
    Sie blitzte ihn an, war zum Nachgeben nicht bereit. Tannhäuser schaute über die Schulter zurück. Die jungen Männer hatten sich auf alle viere hochgerappelt und betrachteten den Schaden, den ihre Kleidung gelitten hatte. Sie bemerkten, dass Tannhäuser sie beobachtete, und mussten auch das junge Mädchen gesehen haben. Sie standen auf und flohen.
    »Siehst du? Kein Schaden, den ein Bad im Fluss nicht beheben würde.«
    Tannhäuser wandte sich wieder dem Mädchen zu. Sie war keineswegs besänftigt.
    »Auch wenn ich es selbst sage«, fuhr er fort, »so spricht es nicht gerade
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