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Die Blutnacht: Roman (German Edition)

Die Blutnacht: Roman (German Edition)

Titel: Die Blutnacht: Roman (German Edition)
Autoren: Tim Willocks
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wetteiferten miteinander, wer in einem wilden Wirbel von Extravaganz und Korruption den Reichtum der Nation besser verschwenden könnte. Die größte Abteilung war die Bouche du Roi , der Mund des Königs. Allem Anschein nach konnte der König kein Hemd überstreifen, ohne dass ein Dutzend Männer ihm dabei zu Diensten war, die meisten von ihnen Adelige mit ungeheuren Apanagen. Und die königlichen Fäkalien Seiner Majestät – zu deren Ausscheidung sich die Aristokraten um den königlichen Toilettenstuhl zu versammeln hatten – wurden aufs Gründlichste untersucht, obwohl Tannhäuser kaum erraten konnte, welche wohlriechenden Orakel dort vielleicht geschrieben sein mochten. Tannhäuser bezweifelte, dass Catherine de Medici vor dem Ball überhaupt gewusst hatte, dass Carla existierte. Doch jemand im Palast hatte Carlas Namen auf eine Liste gesetzt und ihre Reise und Unterkunft geplant.
    Tannhäuser kämpfte gegen eine Welle der Mutlosigkeit an und trank Wein.
    Er erinnerte sich, dass Carla einen Menschen in den Menus-Plaisirs du Roi , der Abteilung für die »kleineren Vergnügungen« des Königs, erwähnt hatte. Zu diesem Kreis zählten wohl die Höflinge, die für die Unterhaltung des Königs verantwortlich waren. Wie hieß der Mann doch gleich? Carlas Brief war in seiner Satteltasche.
    Tannhäuser fuhr zusammen, als die beiden Mädchen an seinemTisch auftauchten. Die zweite schien sanftmütiger zu sein. Ihr Haar schimmerte in einem sonnigen Blond. Er rappelte sich auf die Füße und verneigte sich.
    »Wir nehmen Eure freundliche Einladung an«, sagte das Mädchen, das ihm entgegengetreten war.
    »Ich bin hoch erfreut«, erwiderte Tannhäuser, während er sich fragte, warum zum Teufel er die Einladung ausgesprochen hatte. Er bemerkte, dass Grégoire sitzen geblieben war und immer noch Essen in sich hineinschlang. »Grégoire, ein Ehrenmann steht auf und verneigt sich, wenn eine Dame sich nähert.«
    Grégoire sprang von seiner Bank auf und verbeugte sich mit solcher Begeisterung, dass er mit der Stirn auf den Tisch aufschlug. Die Mädchen lachten. Grégoire warf Tannhäuser ein Lächeln zu, als wollte er ihn wortlos bitten, sich von ihrem Gelächter nicht zu weiterer Gewalt provozieren zu lassen.
    »Das ist meine ältere Schwester, Flore Malan. Ich bin Pascale Malan.«
    »Höchst erfreut. Bitte esst und lasst es euch schmecken.«
    Die Mädchen quetschten sich zu ihm auf die Bank und stürzten sich mit noch größerer Begeisterung auf das Essen als Grégoire. Tannhäuser verging der Appetit. Sein Auge fiel auf sein aufgehäuftes Gepäck. Die Palastwache würde ihn wohl kaum so mit Gewehren beladen in den Louvre wandern lassen.
    »Ihr seid also einer von diesen katholischen Fanatikern«, meinte Pascale.
    Sie deutete mit dem Kinn auf das Malteserkreuz mit den acht Zacken, das auf seiner Brust prangte.
    »Meine Tage als Fanatiker habe ich längst hinter mir.«
    Pascale starrte ihn an. »Jedenfalls haben die Hugenotten genauso viel Vergnügen daran, für ihre gerechte Sache Blut zu vergießen wie alle anderen. Ihre Gräueltaten sind vielleicht nicht so weit verbreitet, aber das liegt eher an ihrem Mangel an Truppen als an moralischen Bedenken. Und beide Seiten hassen die Moslems und die Juden, also ist die Welt wieder in Ordnung.«
    Ein Lächeln breitete sich über ihr Gesicht. Sie hatte eine Lücke zwischen den Schneidezähnen. Die verlieh ihr einen gewissen schrägen Charme.
    »Martin Luther hasste die Juden aus genau den gleichen Gründen wie die Katholiken«, sagte sie, »aber er hat auch noch ein paar eigene neue erfunden. Und wenn man bedenkt, dass die Kirche Jahrhunderte lang Zeit hatte, sich welche einfallen zu lassen, ehe Luther auf der Bildfläche erschien, dann war das doch eine ziemliche Leistung, oder nicht?«
    Wenn sie sich über ihn lustig machte, so genoss Tannhäuser das wirklich.
    »Luther war so großartig, dass er darauf gekommen ist, dass er die Juden aus den gleichen Gründen hassen konnte, aus denen er die Katholiken hasste«, fuhr sie fort. »Er hat zum Beispiel argumentiert, dass die Katholiken und die Juden gleichermaßen glauben, die Erlösung käme daher, dass man die Gesetze Gottes befolgt und nicht vom Glauben allein. So konnten die Lutheraner den Judenhass mit dem Hass auf die Katholiken verschmelzen, ohne dabei an theologischer Stimmigkeit einzubüßen.«
    »Du zwingst mich, das Genie dieses Mannes in einem völlig neuen Licht zu betrachten.«
    »Ihr werdet jedoch feststellen, dass
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