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Die Blutnacht: Roman (German Edition)

Die Blutnacht: Roman (German Edition)

Titel: Die Blutnacht: Roman (German Edition)
Autoren: Tim Willocks
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unendlich erfinderisch. Sie ersannen weitere Methoden, wie sie die Leute überreden konnten, einander umzubringen, und sie machten so lange damit weiter, bis es keine Valois mehr gab und der erste Bourbonenkönig sich kaum noch einen Nachttopf leisten konnte. Dieser neue König hungerte Paris durch eine Belagerung aus, um es sich gefügig zu machen, und obwohl ihm das nicht gelang, weil Paris sich wie immer als hartnäckig erwies, brachte er dabei doch über dreißigtausend Bürger der Stadt um. Als der Frieden im Königreich wiederhergestellt war, führte er die Nation in einen neuen Krieg gegen Spanien.
    Sein Leben endete, wie das seines Vorgängers, durch den Dolch eines Mörders.In den Nachwehen des Bartholomäustags gingen die Morde in Paris noch einen Monat lang weiter und klangen nicht etwa aus, weil den Kämpfern die Begeisterung ausging, sondern weil es ihnen an Opfern fehlte. Und die Massaker breiteten sich in ganz Frankreich aus, wie die Kreise in einem See, in den man einen Kieselstein geworfen hat. Dergleichen Kiesel werden in den Geschicken der Menschheit ja oft genug geworfen, und immer beruhigt sich die Wasseroberfläche wieder. Aber Tannhäuser konnte sich des Gedankens nicht erwehren, dass er mitgeholfen hatte, den Stein zu werfen, der in Paris für Wellen gesorgt hatte.
    Er, Carla und die Kinder hatten auf ihrer Heimreise die blutigen Wellen erlebt. Sie hatten sie unversehrt überstanden, zumindest körperlich. Obwohl er keinerlei Gewissensbisse verspürte, weil er viele von eigener Hand getötet hatte, nicht einmal wegen des unglückseligen Barden oder des Hugenotten, der gefesselt auf dem Vorplatz der Kathedrale gekniet hatte. Doch Tannhäuser fühlte sich wegen seines Gesprächs mit Retz für immer und ewig besudelt und schuldig.
    Er bildete sich keinen Augenblick lang ein, dass sein Ratschlag den Ausschlag gegeben hatte. Dieser Rat war von jedem zu haben, der sich mit der Natur der Macht und des Kriegs auskannte. Und genau das hatte ihn in seinen eigenen Augen so erniedrigt. Er war ein Opfer seiner Eitelkeit geworden. Um des Privilegs willen, eine halbe Meile auf nach Lavendel duftenden Kissen in einer Kutsche mitfahren zu dürfen und sich wichtig genug zu fühlen, dass man ihn um Rat fragte, hatte er einen Schwall Jauche hervorgesprudelt, wie man ihn in jeder Taverne hören oder in den billigen Pamphleten von Kerlen wie Petit Christian lesen konnte. Und obwohl solche Jauche kaum mehr als nur ein paar Hirne verderben konnte, würden doch viele Jaucheströme zusammen eine Strömung, ein wahres Meer ergeben; eine Welt, die in Jauche ertrank. Und er war tiefer in dieser Jauche gewatet als die meisten.
    Kein Wunder, dass er ein so dringendes Bedürfnis verspürt hatte, im Blut zu baden.
    Eine Wahrheit glühte verborgen in seinem Innersten.
    Tannhäuser wusste, dass er sein Schwert niederlegen sollte.
    Um jeden Preis, und sei es das Leben von Carla und seinen Kindern.
    Er glaubte, dass er den Willen dazu hatte.
    Aber er wollte es nicht tun.
    Wie Petrus Grubenius gesagt hatte, war die Wahrheit eine Last, die unmöglich zu tragen war. Deswegen erfanden die Menschen kleinere Wahrheiten, leichtere Wahrheiten und machten sie zu ihren Gottheiten.
    Weil Tannhäuser den Willen hatte, ihn aber nicht umsetzen wollte, sagte er Carla nichts von all dem. Er sagte ihr nichts, weil er fürchtete, dass sie ihm bestätigen würde, er hätte recht. Und dann hätte er keine Ausflucht mehr.
    Nicht, dass sie seine Verbrechen verurteilt hätte, das tat sie nicht. Zwar waren seine Verfehlungen groß, aber sie hatten niemals die Grenzen ihrer Liebe und ihres Mitgefühls gesprengt. Wenn er ihr sagte, dass er das Schwert weglegen musste, dann glaubte er nicht, dass sie ihn darum weniger oder mehr lieben würde. Denn ihre Liebe erstaunte und verwirrte ihn so sehr, dass er glaubte, sie liebte ihn vollkommen.
    In Paris hatte sich in Carla etwas verändert. Etwas, das ihre geheimnisvolle Aura und ihre Kraft noch erhöhte. Eine Frau namens Alice, die Mutter des Infanten, hatte sie so verändert. Und die Kinder, die mit ihnen die Seine heruntergefahren waren. Amparo hatte sie auch verändert. Diese Verwandlung hatte die Art seiner eigenen Liebe in Frage gestellt, denn seine Liebe war so tief geworden, dass sie sich wie ein Abgrund vor ihm auftat, und der Abgrund erschreckte ihn. Auch er hatte sich verändert; oder vielleicht hatte er nur das Gefühl, er hätte sich ändern sollen.
    Manchmal war seine Melancholie so groß, dass er
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