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Die Blutnacht: Roman (German Edition)

Die Blutnacht: Roman (German Edition)

Titel: Die Blutnacht: Roman (German Edition)
Autoren: Tim Willocks
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Tode geprügelt. Kinder wurden im Blut ihrer Eltern getauft, nachdem man sie gezwungen hatte, deren grausamen Tod mit anzusehen. Männer wurden bei lebendigem Leibe in Misthaufen vergraben.
    Die gleichgültige Tatenlosigkeit der sogenannten Ordnungskräfte – königlicher, militärischer und ziviler – machte die Bruderschaften und Kriminellen gleichermaßen kühner. Der König wagte es nicht, die Garden auf seine glühendsten Verbündeten zu hetzen, denn außer ihnen waren ihm nicht mehr viele verblieben. Die Gesandten, die verkündeten, dass er den Ruin seiner Hauptstadt missbilligte, wurden verspottet und gar nicht beachtet. Diejenigen, diedas Bureau de Ville ausgesandt hatte, gerieten in Lebensgefahr. Der Militärgouverneur tat seine Pflicht und verteidigte die Stadtmauern, obgleich es in der ganzen Stadt kaum ein Bauwerk gab, das weniger in Gefahr war, angegriffen zu werden.
    Auch Katholiken fielen der Welle der Vergeltung und des Verbrechens zum Opfer, aber die Herrschaften im Châtelet kümmerten sich nur um ihre eigenen Angelegenheiten. Letztere waren komplizierter als sonst, denn der Kampf um die Nachfolge auf den Thron Le Telliers tobte bereits heftig. Da es keine Zeugen zu foltern gab, gab man dem berüchtigten Infanten von Cockaigne, einem gewissen Grymonde, die Schuld an Le Telliers Qualen und Tod. Diesen Grymonde hatte am Montagmorgen der Kommissar, der später Le Telliers Amtsrobe übernahm, gefangen genommen und getötet.
    Grymondes Leiche – seltsam vom Wasser aufgedunsen, wie einige anmerkten, wenn man bedachte, dass er in einem verzweifelten Schwertkampf umgekommen war – wurde gevierteilt und in Teilen an den Haupttoren der Stadt zur Schau gestellt, wenn auch die gaffende Menge kleiner als sonst war. Seinen riesigen Kopf spießte man vor dem Châtelet auf eine Pike auf. Es fragten sich zwar einige, wie ein Mann ohne Augen so ein Verbrechen hatte begehen können, aber dieses Mysterium nährte nur noch die Legende um den König von Cockaigne.
    Später ließ der Mann, der ihn besiegt hatte, den Schädel präparieren und das Gehirn entfernen. Er diente während seiner langen weiteren Berufslaufbahn als vorzügliches Gesprächsobjekt, und er vermachte ihn der juristischen Fakultät der Universität Padua, eine seltsame Laune, die man seinem vorgerückten Alter zuschrieb. Nach allem, was man weiß, liegt bis heute der Schädel des Infanten in den Gewölben dieser ehrwürdigen Institution.
    Am Mittwoch versammelte der König, dessen Autorität sich als zu schwach herausgestellt hatte, das Parlement und behauptete, alles, was bisher passiert war, sei auf seinen ausdrücklichen Befehl geschehen, »um die Ausführung einer bösartigen und verachtenswerten Verschwörung zu vereiteln«.
    Die Folgen dieser Strategie waren außerordentlich angenehm. Sein Volk entdeckte für kurze Zeit, dass es ihn doch liebte. Es wurden Gedichte verfasst: über seinen Mut und seine Weisheit und aufden Engel, der ihn geführt hatte. Fromme Prozessionen, die das allerheiligste Altarsakrament und die Reliquie der heiligen Geneviève mitführten, dankten dem Allmächtigen für die Niederlage der Hugenotten. Der König ließ eine Goldmünze prägen, auf der er selbst als Herkules dargestellt wurde, der die Hydra der Ketzerei tötet. Die fernen Eliten, Les Messieurs , verdienten wieder Geld. In Rom und Madrid und anderswo wurde die Nachricht mit Freuden aufgenommen, und Giorgio Vasari wurde beauftragt, im Vatikan Fresken zu malen, die an diese Ereignisse erinnerten.
    Insgesamt befand man also, dass es ein gutes Ergebnis war.
    Und in gewisser Weise stellte sich heraus, dass man den König gut beraten hatte.
    Das Massaker zerstörte zwar die hugenottische Bewegung nicht, aber dieser schwere Schlag lähmte sie beinahe tödlich, und sie erholte sich nie mehr davon. Die Hauptanführer waren fort, und mit ihnen auch die Möglichkeit, weitere Konflikte zu finanzieren. Tausende von Hugenotten schworen ihrem Glauben ab, waren erschüttert, dass Gott es zulassen konnte, dass seine Kinder so straflos dahingemetzelt wurden. Sie ließen sich taufen und machten mit ihrem Leben weiter. Unzählige andere flohen in fremde Länder, wo man sich darauf beschränkte, die Anhänger anderer Glaubensrichtungen, aber nicht der hugenottischen auf dem Scheiterhaufen zu verbrennen.
    Die Zerstörung protestantischer Macht in Frankreich konnte mehr als zwanzig weitere Jahre Bürgerkrieg nicht verhindern, denn in derlei Angelegenheiten sind die Mächtigen
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