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Die Blume von Surinam

Die Blume von Surinam

Titel: Die Blume von Surinam
Autoren: Linda Belago
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Farbe, ihr Sari war zerknittert und beschmutzt, und sie konnte kaum die Augen aufhalten, so schwach war sie. Kadir drängte trotzdem weit nach vorne, an die Stelle der Reling, wo die Boote vermutlich zum Übersetzen festmachen würden. Es dauerte abernoch eine scheinbare Ewigkeit, bis sich aus dem Hafen weitere kleine Boote dem Schiff näherten. Das Gedränge an Bord wurde immer stärker, und Inika fühlte sich zunehmend unwohl.
    Plötzlich spürte sie die Hand ihrer Mutter auf der Schulter. Mit glasigem Blick fixierte Sarina ihre Tochter und flüsterte: »Das kleine Säckchen, Inika, hinter der Planke, hast du es mitgenommen?«
    Inika wusste im ersten Moment nicht, wovon ihre Mutter sprach. Dann kam ihr ein Bild aus den ersten Tagen auf See in den Sinn, als ihre Mutter das kleine Beutelchen mit ihrem Schmuck unter einer losen Planke der Bettstatt versteckt hatte. Sie hatte Inika angesehen, den Zeigefinger auf die Lippen gelegt und auf die anderen Passagiere gedeutet. Jeder wusste, dass es schon zu Diebstählen gekommen war, selbst die Matrosen standen im Verdacht, sich am Gepäck der Passagiere zu schaffen zu machen.
    Inika hatte gewichtig genickt und zur Sicherheit noch eine der fadenscheinigen, dreckigen Decken darübergelegt. Jetzt pochte ihr Herz wild vor Aufregung. Das Säckchen! Ihr Vater wusste gar nicht, dass ihre Mutter es dort versteckt hatte. Sie musste es holen, aber würde die Zeit reichen? Sie warf einen Blick auf die Boote und bemerkte erleichtert, dass diese noch ein Stück entfernt waren. Wenn sie sich eilte, würde sie es rechtzeitig schaffen. Sie nickte ihrer Mutter kurz zu und drängte sich dann durch die Menschen zurück zum Laderaum im Bauch des Schiffes. Als sie die Stiege hinabkletterte, schlug ihr der beißende moderige Geruch der menschlichen Ausscheidungen der vergangenen Wochen entgegen. Sie unterdrückte ein Würgen und stolperte vorwärts über dreckige Decken und aufgerissene Strohsäcke, die aussahen, als hätte man etwas aus ihnen hervorgezogen. Schlagartig wurde Inika bewusst, dass offensichtlich auch andere etwas versteckt hatten.
    Als sie endlich bei der Koje angekommen war, in der sie die letzten vierzehn Wochen mit ihren Eltern verbracht hatte, zerrtesie schnell die schmutzigen Decken beiseite. Ihr Vater hatte, im Gegensatz zu manch anderem Mitreisenden, darauf verzichtet, diese mitzunehmen. Er war der festen Überzeugung, dass sich ihre Situation gleich nach Verlassen des Schiffes bessern würde. Sie würden frische, saubere Decken bekommen und auch etwas zu essen, so hatte er gesagt. Das, was man ihnen auf dem Schiff vorgesetzt hatte, war kaum genießbar gewesen.
    Inika kniete sich auf das harte Holz und suchte eilig mit den Fingern nach dem losen Brett. Sie fand es bald, aber es hatte sich mit den umliegenden Brettern verkeilt. Es dauerte eine Weile, bis sie ihre schmalen Finger zwischen die Latten geschoben hatte, dann zerrte sie mit aller Kraft daran. Das Brett bewegte sich nicht. Im Gegenteil, es gab kurz nach, um dann aber zurückzurutschen und ihr schmerzhaft den Daumen einzuklemmen. Ihr liefen vor Anstrengung und Schmerz die Tränen über die Wangen, doch sie hatte keine Wahl: Sie musste an dieses Säckchen kommen! Entschlossen machte sie sich wieder an die Arbeit. Plötzlich gab das Brett mit einem knackenden Geräusch nach. Inika wurde nach hinten geschleudert, rappelte sich schnell wieder hoch und fischte im Dunkel des klaffenden Lochs. Endlich stießen ihre Finger gegen Stoff, und sie zog das Säckchen hervor. Sie wollte schon losrennen, als ihr ein Gedanke durch den Kopf schoss: Was, wenn sie damit in der Hand jetzt an Deck kam? Wenn sie es verlor oder es ihr jemand im Gedränge gar fortnahm? Sie musste es verstecken, aber wo? Kurz entschlossen zog sie ihren Sari hoch und stopfte das Säckchen in ihr Unterkleid. Dort, an ihrem Bauch, würde sie es nicht verlieren. Inika war zufrieden mit sich und hoffte inbrünstig, dass nicht allzu viel Zeit vergangen war. Hastig lief sie wieder in Richtung Stiege, durch die sie das Licht von oben hereinfallen sah.
    Plötzlich schob sich eine große Gestalt vor sie. Inika erschrak zutiefst, als ein bulliger Matrose ihr den Weg versperrte und dann sogar nach ihr griff. Sein Gesicht war gerötet, seine Züge angespannt und er sprach mit lauter Stimme für Inika unverständliche Worte, die in ihren Ohren wütend klangen. Nein, dieser Mann wollte ihr ganz sicher nicht helfen. Sie musste weg, und das ging nur in eine Richtung. Inika
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