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Die beste Lage: Roman (German Edition)

Die beste Lage: Roman (German Edition)

Titel: Die beste Lage: Roman (German Edition)
Autoren: Gaetano Cappelli
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das Mitleid aufgrund seiner besonderen Situation vielleicht noch mehr verletzte – der Situation, sagen wir es frei heraus, des gehörnten Ehemanns. Aus diesem Grund hatte er unter einem völlig fadenscheinigen Vorwand die Villa der Barras verlassen und auf das verzichtet, was immer eine ebenso unvermeidliche wie herbeigesehnte Zusammenkunft gewesen war.
    Zu behaupten, Riccardo Fusco sei an jenem Julinachmittag einfach deprimiert gewesen, hieße, die zerstörerische Kraft, die seinem Schicksal innewohnte, gewaltig zu unterschätzen. Sagen wir also zutreffender, dass er sich wie ein Stück Scheiße vorkam, und schon haben wir eine viel genauere Vorstellung von der Katastrophe, zu der sich sein Leben in jeder Hinsicht entwickelt hatte.
    Und vielleicht nur, weil der Anblick eines noch Unglücklicheren ihn irgendwie trösten würde, beschloss er, endlich das zu tun, was er seit vielen Jahren, praktisch seit Beginn dieser Ausflüge aufs Land anlässlich der Geburtstage der Barra-Kinder, zu tun beabsichtigt hatte, ohne sich je dazu aufraffen zu können, und bog, in Reaktion auf die unfehlbare Anziehungskraft, die ein Scheitern auf ein anderes ausübt, unvermittelt ab – in Richtung des Dorfes, in dem Giacinto Cenere lebte.
    Im Namen verbirgt sich das Schicksal
    Giacinto Cenere – oder Giàcenere, wie er seine Bilder signierte, was einem nunmehr wie weise Voraussicht erscheinen mochte, während in den Achtzigerjahren dieser Name, der so viel wie »Schon Asche« bedeutet, als Gipfel des dark Snobismus gegolten hatte –, Giacinto Cenere also war der unglaublichste lebende Talentvergeuder, den Riccardo Fusco je kennengelernt hatte, sofern er überhaupt noch unter den Lebenden weilte.
    Einst waren sie dicke Freunde gewesen, und Riccardo hatte immer noch eines seiner großflächigen Acrylbilder im größeren der beiden Wohnzimmer seines neuen, eleganten Domizils hängen – das, unnötig zu präzisieren, ebenfalls mit dem von Eleonora verdienten Geld erworben worden war. Giàcenere hatte es zwanzig Jahre zuvor gemalt, als Fotos von ihm und seinen Werken zuerst in Fachzeitschriften, dann in einigen Wochenblättern und schließlich sogar in Modemagazinen aufgetaucht waren. Er schien der aufgehende Stern am Himmel der italienischen Kunst zu sein. Doch dann war irgendetwas schiefgegangen.
    Sicher, es kommt oft vor, dass auf einen Moment des Ruhms eine Periode des Vergessens folgt, die sich, in den unglücklichsten Fällen, über ein ganzes Leben erstrecken kann, aber selbst in diesen Fällen werfen die meisten Künstler die Flinte nicht ins Korn. Als inzwischen einzige Verteidiger ihres verkannten Genies werden sie reizbar, unzugänglich und neidisch, setzen ihre Mission dennoch unbeirrt fort und werfen so lange Perlen vor die Säue, bis sie sich wieder emporarbeiten. Nicht so Giàcenere. Eines Publikums beraubt, hielt er das Malen plötzlich für eine nicht nur aufreibende, sondern auch überflüssige Tätigkeit und beschloss, sich ganz anderen Beschäftigungen zu widmen – hauptsächlich, Drogen zu nehmen, durch die Gegend zu ziehen und den Weibern nachzusteigen.
    So ging es noch ein paar Jahre und etwa ein halbes Dutzend immer weniger interessante Bilder weiter, und dann, wumm! – das Nichts, Giàcenere eben.
    Als unglücklicher Besitzer eines dieser noch unglücklicheren Werke, die bald jeden Marktwert verloren hatten, hegte Riccardo Fusco, wie wir wissen, an jenem Nachmittag, an dem er sich auf die Suche nach dem Schöpfer dieses Bildes begab, mehr als nur einen Verdacht, dass Giàcenere vom Erdboden verschwunden sein könnte, denn niemand wusste, was aus ihm geworden war, und er stand, wie Riccardo unlängst herausgefunden hatte, nicht einmal mehr im Telefonbuch – vorausgesetzt, er war infolge seines ungeregelten Lebens nicht so tief ins Elend gesunken, dass er sich kein Telefon mehr leisten konnte. Als ihm zum letzten Mal etwas über Giàcenere zu Ohren gekommen war, hatte man ihn jedenfalls in Indien vermutet. Ja, konnte es wirklich Leute geben, die immer noch nach Indien reisten?
    Subalterne Klassen und Welterfahrung
    Während ihm diese Gedanken durch den Kopf gingen, fuhr Riccardo die nur aus Kurven bestehende Straße wieder hinauf, bis irgendwann die Piazza des Dorfes vor ihm lag, wenn er sich recht erinnerte – da gab es allerdings nicht viel zu erinnern, denn sie war, und ist, kaum größer als ein Tennisplatz. Riccardo parkte das Auto auf dem zweiten der fünf Stellplätze vor der Bar neben dem kleinen
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