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Die Beschützerin

Die Beschützerin

Titel: Die Beschützerin
Autoren: Susanne Kliem
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»Ich habe noch nie einen Menschen getroffen, der so sehr in einer Scheinwelt gelebt hat wie sie. Ich wette, sie hat ihr ganzes Lügenkonstrukt für absolut wahr gehalten.«
    Â»Es klang so realistisch. Sie sagte, du hättest Spaß mit ihr gehabt.«
    Gregor zog die Bettdecke über unsere Köpfe. »Ich zeig dir mal, wie es aussieht, wenn ich Spaß habe …!« Ich schmiegte mich an ihn.
    Seit dieser Nacht haben wir Vanessa Ott nicht mehr erwähnt.
    Ich lege den Kopf in den Nacken und schließe die Augen. Warm scheint die Märzsonne auf mein Gesicht. Ich genieße es. Mein neues Leben!
    In der Werkstatt kreischt eine Säge los. Gregor baut etwas für mich, es soll eine Überraschung werden, zu meinem Geburtstag. Ich bin einfach nur glücklich.

Epilog
    Du frierst, es ist kalt im Schatten. Du ziehst die Ärmel deines Pullovers über die Handrücken und vergräbst deine Hände in der Manteltasche. Die Schnittwunden an deinen Armen jucken. Du beißt die Zähne zusammen. Nicht kratzen, es blutet nur und bildet neue Krusten, die wieder jucken. Das wird niemals aufhören.
    Konzentriere dich. Sie ist da.
    Sie steht mitten im Garten, das Gesicht zur Sonne gewandt. Sie wollte irgendetwas tun, doch sie hat den Spaten in ihrer Hand vergessen. Du spürst, dass sie glücklich ist. Sie denkt kaum noch an dich. Du bedeutest nichts mehr für sie, nicht einmal Gefahr.
    Wie still es hier ist. Als gäbe es keine anderen Menschen, nur sie und dich. Sie, die Frau, der alles geschenkt wird, Liebe, Wärme, Freundschaft, ein Zuhause.
    Und du …
    Hör auf, dich zu bemitleiden. Das ist lächerlich. Auch du hast ein neues Leben. Du bist frei. Es gibt keine Vergangenheit.
    Eine Fahrradklingel. Jemand radelt die Straße entlang. Der Briefträger? Er hält auf der Höhe ihres Gartens. Sie geht hin, öffnet das Tor und nimmt einen schmalen Stapel Briefe und die Zeitung entgegen. Sie plaudern, lachen, der Postbote zeigt in den Himmel. Ja, das Wetter! Da zieht sich eine Wolkenfront zusammen …
    Jetzt! Ihre Körperhaltung verändert sich. Ja, du erkennst es deutlich. Sie streckt den Rücken, weicht einen Schritt zurück. Sie hat ihn entdeckt, starrt darauf. Der Brief liegt in ihrer Hand.
    Der Postbote macht eine Bemerkung. Vermutlich bewundert er das Briefpapier. Das ist mal was Besonderes. Handgeschöpft? Und erst die Farbe … Hellviolett. Wie blasser Flieder.
    Du bekommst nicht mit, wie sich der Briefträger verabschiedet und wegfährt, deine Augen kleben an ihr. Sie ist dort stehen geblieben, am Tor. Aus dem Schuppen dröhnt der Motor einer Säge. Sie wirft einen schnellen Blick dorthin. Dann öffnet sie den Umschlag. Etwas Dunkles fällt heraus, sie hebt es auf, betrachtet es.
    Du hast eine Locke für sie geopfert. Erkennt sie, dass sie echt ist? Sie lässt die Locke fallen, als wäre es ein Stück glühende Kohle. Entfaltet das Papier. Liest.
    Mein Haar ist jetzt so lang wie deines. Kannst du dir vorstellen, wie gut es mir steht? Ich bin eine Zeit lang geschwommen, in dem kalten Wasser, in das du mich gestoßen hast. Aber ich habe ein Ufer erreicht. Eine Insel. Eine neue Insel in meinem Leben.
    Du hast dich mit meinem Tod schon abgefunden, nicht wahr? Du warst so leicht aufzuspüren. Wiederholst die alten Fehler. So vertrauensselig. Stell dir vor, Gregors Sägeblatt löst sich und trennt seine Hand ab. Stell dir vor, deine selbst geernteten Zucchini sind vergiftet. Es gibt so viele Gefahren, so viele Möglichkeiten. Stell es dir vor!
    Sie lässt die Hand mit dem Brief sinken. Du hast ihn nicht unterschrieben. Wozu auch?
    Sie hebt den Kopf, sieht die Dorfstraße hinunter bis zum Gasthof. Du weißt, was sie sucht: einen weißen Alfa Romeo. Da ist nichts, da draußen. Doch in ihrem Kopf ist alles wieder da.
    Sie dreht sich um, geht eilig ins Haus, verschließt die Tür. Sie will dich aus ihrem Leben ausschließen.
    Aus dem Nachbarhaus kommt eine Frau mit einem vollen Müllbeutel, sie geht zu einer Tonne an der Straße, wirft ihn hinein. Ein Kind steckt den Kopf aus der Haustür, ruft ihr etwas zu. Du trittst aus dem Schatten. Nun möchtest du lachen. Laut heraus. Du willst, dass dich jemand sieht. Du bringst nur eine Art Husten zustande. Ein schriller und hysterischer Laut. Die Frau blickt nicht einmal auf.
    Sie bemerkt dich nicht!
    Die Angst schlägt wie eine Flutwelle über dir zusammen.
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