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Die Berufung

Titel: Die Berufung
Autoren: John Grisham
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erschüttert und mochten ihren Ohren kaum trauen.
    Eine Schwester kam herein und setzte dem Treffen ein Ende, weil es Zeit war, das Licht zu löschen. Der Senator umarmte Doreen, küsste sie auf die Wange, drückte ihre Hände und versprach zu tun, was in seiner Macht stand. Ron begleitete ihn auf den Gang, wo zu seiner Überraschung kein Gefolge wartete. Nicht ein einziger Laufbursche, Leibwächter oder Fahrer war in Sicht. Niemand.
    Der Senator war ganz allein gekommen, um sie zu besuchen. Eine Geste, die Ron viel bedeutete.
    Auf dem Weg zum Ausgang begrüßte Rudd jeden mit einem jovialen »Howdy« und demselben künstlichen Grinsen. Dies waren seine Leute, und er wusste, dass sie ihn verehrten. Er schwafelte über irgendeine banale Debatte im Kongress. Ron versuchte, interessiert zu wirken, obwohl er es plötzlich gar nicht erwarten konnte, dass der Mann endlich den Mund hielt und verschwand. Am Ausgang wünschte Rudd ihm alles Gute, versprach, für die Familie zu beten, und sagte erneut seine Hilfe in allen Belangen zu.
    »Übrigens«, meinte der Senator geradezu beiläufig, als sie sich die Hände schüttelten, »wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie baldmöglichst Ihre Entscheidung in der Krane-Sache treffen könnten.«
    Rons Griff wurde schlaff. Verblüfft suchte er nach einer Antwort. Während er nachdachte, setzte der Senator noch eins drauf.
    »Ich weiß, dass ich mich auf Sie verlassen kann. Diese Urteile sind Gift für unseren Staat.« Dann packte er Ron an der Schulter, fletschte die Zähne noch einmal zu seinem Standardgrinsen und entschwand.
    Draußen wies er seinen Chauffeur an, ihn in eine Vorstadt im Norden zu fahren. Dort würde er die Nacht bei seiner örtlichen Geliebten verbringen, bevor er früh am Morgen mit der Gulfstream nach Washington zurückflog.
     
    Ron lag auf dem Feldbett und richtete sich auf eine weitere lange Nacht ein. Joshs Schlafverhalten war so unberechenbar geworden, dass jede Nacht eine neue Herausforderung darstellte. Als die Schwester um Mitternacht die Runde machte, waren Vater und Sohn hellwach. Doreen war glücklicherweise im Motel und schlief dank der kleinen grünen Pillen, die ihnen die Schwestern zusteckten, wie ein Stein. Ron nahm selbst eine Tablette, während Josh von der Schwester ein Beruhigungsmittel bekam.
    In der unerträglichen Dunkelheit des Zimmers zermarterte sich Ron das Gehirn. Was hatte Senator Rudds Besuch zu bedeuten? War er nur ein arroganter Politiker, der sich weit aus dem Fenster lehnte, um einen wichtigen Förderer zu unterstützen? Rudd nahm von jedem Geld, solange es legal war. Warum sollte Krane eine Ausnahme sein?
    Aber war es wirklich so einfach? Krane hatte den Fisk-Wahlkampf nicht mit einem Cent unterstützt. Ron war über die Höhe der Zuwendungen und Ausgaben entsetzt gewesen und hatte die Unterlagen daher nach der Wahl sorgfältig durchforstet. Er hatte sich mit Tony Zachary gestritten, weil er wissen wollte, aus welchen Quellen die Gelder stammten. Steht doch alles in den Unterlagen, hatte Zachary immer wieder gesagt. Also hatte sich Ron die Unterlagen gründlich angesehen. Die Spender waren Manager, Ärzte, deren Anwälte und Lobbyistengruppen gewesen -alles Leute, die sich für eine Beschränkung der Haftung einsetzten. Das hatte er schon vor Beginn des Wahlkampfs gewusst.
    Die Sache roch nach Verschwörung, aber irgendwann überwältigte ihn die Müdigkeit.
     
    Irgendwo im tiefen Nebel seines Medikamentenschlafs hörte Ron ein regelmäßiges Klicken, das er nicht zuordnen konnte. Ganz in seiner Nähe, immer wieder in schneller Folge dasselbe Geräusch.
    In der Dunkelheit tastete er nach Joshs Bett - und sprang entsetzt auf. In dem schwachen Licht, das aus dem Badezimmer drang, sah er, wie sein Sohn von einem grotesken Anfall geschüttelt wurde. Sein ganzer Körper zuckte heftig. Das Gesicht war verzerrt, der Mund stand offen, die Augen blickten irr. Das Klicken und Scheppern wurde lauter. Ron drückte den Notknopf. Dann packte er Josh an den Schultern und versuchte, ihn festzuhalten. Die Attacke war erstaunlich heftig. Zwei Schwestern stürzten herein und übernahmen. Eine dritte kam, schließlich der Arzt. Viel war nicht zu tun, außer Josh einen Zungendrücker einzusetzen, damit er sich nicht selbst verletzte.
    Als Ron es nicht mehr ertrug, zog er sich in eine Ecke zurück und betrachtete das surreale Bild seines schwer verletzten Sohnes inmitten des Gewirrs helfender Hände, während das Bett immer noch bebte und schepperte.
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