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Die Berufung

Titel: Die Berufung
Autoren: John Grisham
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Endlich ließ der Anfall nach, und die Schwestern wuschen Josh mit kühlem Wasser das Gesicht und redeten in Babysprache auf ihn ein. Ron begab sich auf einen weiteren sinnlosen Streifzug durch die Gänge.
    Vierundzwanzig Stunden lang hatte Josh immer wieder Anfälle, dann hörten sie plötzlich auf. Zu diesem Zeitpunkt waren Ron und Doreen so müde und erschöpft, dass sie nur noch ihren Sohn anstarrten und beteten, dass er ruhig blieb. Andere Ärzte kamen und wechselten mit düsterer Miene unverständliche Worte mit ihren Kollegen. Weitere Tests wurden angeordnet, und Josh wurde erst nach Stunden wieder aufsein Zimmer gebracht.
    Die Tage verschmolzen übergangslos miteinander. Die Zeit hatte ihre Bedeutung verloren.
     
    An einem Samstagmorgen schlich sich Ron in sein Büro im Carroll-Gartin-Gebäude. Auf seinen Wunsch waren beide Assistenten gekommen. Zwölf Fälle standen zur Entscheidung an. Ron hatte die Zusammenfassung der Schriftsätze und die Empfehlungen gelesen. Die Assistenten hatten ihre eigene kleine Prozessliste parat.
    Eine Verurteilung wegen Vergewaltigung aus Rankin County. Einstimmig bestätigt.
    Eine Wahlanfechtung aus Bolivar County. Mit sieben Stimmen bestätigt.
    Ein extrem ödes Gezerre um ein Sicherungsgeschäft aus Panola County. Einstimmig bestätigt.
    Und so weiter. Da Ron andere Sorgen hatte und wenig Interesse an der Arbeit zeigte, waren die ersten zehn Fälle in zwanzig Minuten erledigt.
    »Baker gegen Krane Chemical«, sagte einer der Mitarbeiter.
    »Was sagt die Gerüchteküche?«, fragte Ron.
    »Vier zu vier, und es wird bis aufs Messer gekämpft. Calligan und Co sind Ihretwegen ziemlich nervös. McElwaynes Seite ist neugierig. Alle warten und behalten Sie genau im Auge.«
    »Die denken, ich breche zusammen?«
    »Niemand weiß, was er denken soll. Man geht davon aus, dass Sie unter großem Druck stehen, und es wird gemunkelt, Sie könnten eine Kehrtwende vollzogen haben.«
    »Sollen sie ruhig spekulieren. In der Baker-Sache und in dem Fall mit dem Pflegeheim werde ich mit meiner Entscheidung noch warten.«
    »Denken Sie daran, die Urteile zu bestätigen?«, fragte der andere Assistent.
    Ron hatte schnell gelernt, dass sich Klatsch und Gerüchte am Gericht über das Netz der Mitarbeiter verbreiteten.
    »Das weiß ich noch nicht«, sagte er. Eine halbe Stunde später war er wieder im Krankenhaus.
38
    Acht Tage später wurde Josh Fisk an einem verregneten Sonntagmorgen in einen Krankenwagen verladen, um ins nur fünf Minuten von seinem Zuhause entfernte Krankenhaus von Brookhaven verlegt zu werden. Dort sollte er eine Woche lang unter sorgfältiger Überwachung bleiben und danach hoffentlich entlassen werden.
    Doreen saß mit im Krankenwagen.
    Ron fuhr zum Carroll-Gartin-Gebäude und ging in sein Büro im dritten Stock. Weit und breit war niemand zu sehen, was ihm sehr recht war. Zum dritten oder vierten Mal las er Calligans Stellungnahme, in der sich dieser für eine Aufhebung des Urteils im Fall Baker gegen Krane Chemical aussprach. Früher einmal hatte Ron voll hinter Calligan gestanden, aber nun plagten ihn Zweifel. Der Verfasser hätte Jared Kurtin selbst sein können. Calligan hatte praktisch an allen Sachverständigengutachten etwas auszusetzen und kritisierte Richter Harrison, weil er sie überhaupt zugelassen hatte. Besonders harte Worte fand er für den Sachverständigen, der eine Verbindung zwischen den krebserregenden Nebenprodukten und den Krebs -erkrankungen herstellte. »Bestenfalls spekulativ« nannte er dessen Äußerungen. Er legte einen unerfüllbaren Maßstab an, indem er eindeutige Beweise dafür verlangte, dass die Toxine im Wasser von Bowmore tatsächlich die Krebserkrankungen von Pete und Chad Baker ausgelöst hatten. Wie immer beklagte er die unangemessene Höhe des zugesprochenen Schadenersatzes, die er den Emotionen zuschrieb, welche die Anwälte von Mrs Baker bei den Geschworenen geweckt hatten.
    Ron las auch die Stellungnahme von McElwayne noch einmal, die plötzlich ebenfalls ganz anders klang.
    Es war an der Zeit, eine Entscheidung zu treffen, aber er fühlte sich dazu nicht in der Lage. Er war es müde, unter Druck gesetzt zu werden. Der Ärger darüber, von Mächten, die er nicht hatte erkennen wollen, wie ein Bauer in einem Schachspiel benutzt zu werden, nagte an ihm. Joshs Leid hatte ihn ausgelaugt. Er wollte nur noch nach Hause. Das Vertrauen darauf, das Richtige zu tun, war ihm abhandengekommen. Ganz abgesehen davon, dass er gar nicht mehr wusste,
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