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Die Berufung

Titel: Die Berufung
Autoren: John Grisham
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auf die Summe von achtunddreißig Millionen gekommen ist?«
    »Nicht aus dem Stand«, antwortete Ratzlaff.
    »Natürlich nicht. Während der ersten neun Monate dieses Jahres hat Krane durchschnittlich einen Profit von achtunddreißig Millionen pro Monat gemacht. Und diese Horde verblödeter Hinterwäldler, die zusammen keine hundert Riesen im Jahr verdienen, spielt Gott. Schröpft die Reichen und beglückt die Armen.«
    »Noch haben wir das Geld«, erwiderte Ratzlaff. »Es wird Jahre dauern, bis sie einen Cent sehen. Wenn es überhaupt so weit kommt.«
    »Großartig! Das können Sie morgen der Pressemeute verkaufen, wenn unsere Aktie den Bach runtergeht.«
    Ratzlaff sackte schweigend in seinem Sessel zusammen.
    Mr Trudeau ging hektisch auf und ab. »Einundvier zig Millionen Dollar. Und mit wie vielen Trittbrettfahrern müssen wir rechnen? Habe ich etwas von zweihundert oder dreihundert potenziellen Klägern gehört? Nun, wenn es heute Morgen dreihundert waren, werden es morgen früh dreitausend sein. Jeder Hinterwäldler aus dem Süden Mississippis, der an einer Pustel laboriert, wird jetzt behaupten, an dem Zaubertrank aus Bowmore genippt zu haben. Und jeder billige Winkeladvokat wird sich dorthin aufmachen, um neue Mandanten zu ködern. Es hätte nie so weit kommen dürfen. Sie haben mir versichert, dass es nicht passieren wird.«
    In einer verschlossenen Schublade seines Schreibtischs bewahrte Ratzlaff ein Memo auf, das vor acht Jahren unter seiner Federführung erstellt worden war. Es umfasste einhundert Seiten und beschrieb in schockierenden Details, wie das Unternehmen in dem Werk in Bowmore toxische Abfallprodukte entsorgte. Außerdem wurden Krane Chemicals raffinierte Strategien beschrieben, die illegale Entsorgung zu verbergen, die Umweltschutzbehörde an der Nase herumzuführen sowie Politiker auf der lokalen, bundesstaatlichen und nationalen Ebene zu bestechen. In dem Papier wurde eine heimliche, aber effektive Dekontamination des verseuchten Gebiets empfohlen und dafür eine Summe von fünfzig Millionen Dollar veranschlagt. Jeder potenzielle Leser wurde förmlich angefleht, die gefährliche Umweltverschmutzung zu beenden.
    Außerdem prognostizierte das Memo - in diesem Moment vielleicht am wichtigsten - ein verheerendes Gerichtsurteil irgendwann in der Zukunft.
    Nur durch Glück und eine eklatante Missachtung jeglichen bürgerlichen Pflichtbewusstseins hatte Ratzlaff es geschafft, das Memo geheim zu halten.
    Mr Trudeau hatte vor acht Jahren ein Exemplar bekommen, wollte aber davon nichts mehr wissen und bestritt, es je gesehen zu haben. Ratzlaff war versucht, es aus der Schublade zu holen und ein paar ausgewählte Passagen vorzulesen, doch er erinnerte sich erneut daran, wie sehr er seinen Job liebte.
    Mr Trudeau kam zum Tisch zurück, stützte beide Hände auf die mit italienischem Leder bezogene Platte und bedachte Ratzlaff mit einem wütenden Blick. »Ich schwöre Ihnen, dass es nie so weit kommen wird. Nicht ein Cent unseres mühsam verdienten Geldes wird je bei diesen in Trailern hausenden Provinzlern landen.«
    Die drei Juristen starrten ihren Boss an, dessen Augen sich zu Schlitzen verengt hatten. Er schien Feuer zu speien, als er seinen letzten Satz aussprach. »Und wenn ich die Firma pleitegehen lassen oder sie in fünfzehn Teile zerschlagen muss, ich schwöre beim Andenken meiner Mutter, dass kein Cent von Kranes Geld je einem dieser verblödeten Bauern in die Hände fallen wird.«
    Mit diesem Versprechen stiefelte er über den Perserteppich davon, nahm sein Sakko vom Haken und verließ das Büro.
2
    Jeannette Baker wurde von Verwandten in ihre Heimatstadt Bowmore zurückgebracht, etwa dreißig Kilometer vom Gericht in Hattiesburg entfernt. Durch den Schock geschwächt und wie üblich unter dem Einfluss von Beruhigungsmitteln stehend, hatte sie keine Lust, vor einer Menschenmenge die feiernde Siegerin zu spielen. Die Zahlen kündeten unübersehbar von einem Sieg, aber die Urteilsverkündung war auch das Ende einer langen, beschwerlichen Wegstrecke. Und ihr Mann und ihr kleiner Sohn wurden durch den Sieg bestimmt nicht wieder lebendig.
    Sie lebte mit ihrer Stiefschwester Bette in einem alten Trailer, der an einer unbefestigten Straße in Pine Grove stand, einem heruntergekommenen Teil von Bowmore. An anderen nicht asphaltierten Straßen standen weitere Trailer. Die meisten Autos und Pickups waren uralt und verbeult, die Lackierung abgeblättert. Es gab ein paar richtige Häuser auf fünfzig Jahre
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