Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Berufung

Titel: Die Berufung
Autoren: John Grisham
Vom Netzwerk:
zu müde und zu erleichtert. Während einer Ewigkeit hatten sie praktisch über nichts anderes geredet, und jetzt war ihnen gar nicht nach Reden zumute. Morgen oder übermorgen blieb noch genug Zeit, die Lage zu erörtern.
    »Der Tank ist fast leer«, sagte sie.
    Dazu fiel Wes nichts ein. »Wie sieht's mit dem Abendessen aus?«, fragte er stattdessen.
    »Makkaroni mit Käse. Mit den Kindern.«
    Das Verfahren hatte sie nicht nur ihrer Energie und ihres Geldes beraubt, sondern auch jener überflüssigen Pfunde, die sie zu Beginn des Prozesses vielleicht noch auf den Rippen gehabt hatten. Wes vermutete, dass er etwa sieben Kilo abgenommen hatte, aber sicher war er nicht, weil er sich seit Monaten nicht gewogen hatte. Außerdem hatte er keine Lust, dieses heikle Thema mit seiner Frau zu erörtern. Aber es war unübersehbar, dass sie mehr essen mussten. Sie hatten zu viele Mahlzeiten ausfallen lassen - das Frühstück, weil sie in Eile die Kinder anziehen und zur Schule bringen mussten, das Mittagessen, weil der eine in Harrisons Büro Formalitäten erledigen und der andere das nächste Kreuzverhör vorbereiten musste, die Abendmahlzeit, weil sie bis Mitternacht arbeiteten und das Essen einfach vergaßen. Ernährt hatten sie sich von Kraftriegeln und Energy-Drinks.
    »Hört sich gut an.« Er bog nach links in eine Straße ab, die sie nach Hause führen würde.
    Ratzlaff und zwei andere Juristen nahmen an dem mit Leder bezogenen Tisch in einer Ecke der Bürosuite von Mr Trudeau Platz. Durch die gläsernen Wände hatte man eine beeindruckende Aussicht auf die Wolkenkratzer des Finanzdistrikts, doch niemand war in der Stimmung, sie zu genießen. Mr Trudeau saß hinter seinem verchromten Schreibtisch und telefonierte. Die Firmenanwälte warteten nervös. Obwohl sie unablässig mit Teilnehmern des Prozesses in Mississippi geredet hatten, waren sie immer noch einigermaßen ratlos.
    Der Boss beendete sein Telefonat und kam zielstrebig auf sie zu. »Was ist passiert?«, blaffte er sie an. »Vor einer Stunde hatten Sie noch eine große Klappe. Jetzt sitzen wir in der Scheiße. Wie konnte das passieren?« Er setzte sich und warf Ratzlaff einen aggressiven Blick zu.
    »Geschworenenprozesse sind immer voller Risiken«, antwortete Ratzlaff.
    »Ich habe jede Menge Prozesse hinter mir, und in der Regel gewinne ich sie. Ich dachte, wir hätten die besten Winkeladvokaten überhaupt angeheuert. Die besten Strafverteidiger, die für Geld zu haben sind. Wir haben doch keine Kosten gescheut, oder?«
    »Nein. Wir haben reichlich bezahlt. Und wir zahlen noch immer.«
    Mr Trudeau haute mit der Faust auf den Tisch. »Was ist schiefgelaufen?«, schrie er.
    Ratzlaff hätte seine Gedanken am liebsten laut ausgesprochen, hing aber zu sehr an seinem Job. Nun, hätte er sonst gesagt, vielleicht sollten wir damit beginnen, dass wir die Pestizidfabrik in diesem Kaff in Mississippi gebaut haben, weil das Land und die Lohnkosten spottbillig waren. Dann haben wir dreißig Jahre lang Chemikalien und Abwässer in den Boden gepumpt und in die Flüsse geleitet, was natürlich illegal war. Das Trinkwasser verseucht, bis es wie ranzige Milch schmeckte. Was schon schlimm genug war, aber noch nicht das Schlimmste, denn schließlich sind Menschen an Krebs und Leukämie gestorben.
    Genau das ist schiefgelaufen, Mr Boss, Mr CEO, Mr Unternehmensausschlachter.
    »Unsere Anwälte sehen gute Chancen hinsichtlich der Berufung«, sagte er stattdessen ohne rechte Überzeugung.
    »Na großartig. Ausgerechnet jetzt soll ich diesen Anwälten vertrauen. Wo haben Sie die Clowns aufgetrieben?«
    »Es sind die Besten, okay?«
    »Aber sicher. Wir müssen den Medien ja nur erklären, dass wir hinsichtlich der Berufung extrem optimistisch sind. Vielleicht geht unsere Aktie dann morgen nicht in den Keller. Wollten Sie das damit sagen?«
    »Man muss es nur richtig darstellen.«
    Die anderen beiden Juristen starrten auf die Fensterfronten. Welcher von ihnen wollte zuerst springen?
    Eines von Mr Trudeaus Mobiltelefonen piepte, und er nahm es vom Tisch. »Hi, Honey.« Er stand auf und entfernte sich. »Honey« war die dritte Mrs Trudeau, seine jüngste Trophäe, eine unglaublich junge Frau, die Ratzlaff und alle anderen Angestellten um jeden Preis mieden. Ihr Mann flüsterte in sein Handy und verabschiedete sich.
    Dann trat er in der Nähe seiner drei Juristen an eine Fensterfront und blickte auf die erleuchteten Wolkenkratzer. »Haben Sie eine Ahnung, wie die Jury beim Strafschadenersatz
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher