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Die Berufung

Titel: Die Berufung
Autoren: John Grisham
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alten Betonsockeln, die nicht jederzeit auf einem Tieflader weggekarrt werden konnten, doch auch sie waren nicht in Würde gealtert und wirkten unübersehbar vernachlässigt. In Bowmore gab es kaum Arbeit, in Pine Grove noch weniger, und ein kurzer Gang durch Jeannettes Straße musste jeden deprimieren.
    Die Neuigkeit war schneller in Bowmore angekommen als Jeannette selbst, und sie wurde von einigen Leuten empfangen, als sie nach Hause kam. Man brachte sie ins Bett, dann setzten sich die anderen in das enge Wohnzimmer, wo sie im Flüsterton über das Urteil diskutierten und sich in Spekulationen über dessen Konsequenzen ergingen.
    Einundvierzig Millionen Dollar? Welche Auswirkungen würde das auf die anderen Prozesse haben? Würde man Krane zwingen, die Sauerei zu beseitigen? Wann konnte Jeannette damit rechnen, einen Teil des Geldes zu bekommen? Sie hüteten sich, allzu sehr auf Letzterem herumzureiten, aber eigentlich dachten alle in erster Linie nur daran.
    Weitere Freunde trafen ein und setzten sich auf Gartenstühle auf der wackeligen Holzterrasse, wo sie in der kühlen Abendluft weiterdiskutierten. Getrunken wurde Mineralwasser oder Limo. Diese Menschen, die lange gelitten hatten, kosteten ihren Sieg aus. Endlich hatten sie gewonnen. Was auch immer. Sie hatten sich gegen Krane gewehrt, ein Unternehmen, das sie bis aufs Blut hassten, ihm eine Lektion erteilt. Vielleicht wendete sich das Blatt. Endlich hatte ihnen jemand außerhalb von Bowmore Gehör geschenkt. Sie redeten über Anwälte, eidliche Aussagen, die Umweltschutzbehörde, die neueste Technologie und geologische Gutachten. Obwohl niemand von ihnen gebildet war, kannten sie, was Giftmüll, Grundwasserverseuchung und Krebserkrankungen betraf, die gängigen Fachtermini. Sie lebten in diesem Albtraum.
    Jeannette lag wach in ihrem dunklen Schlafzimmer und lauschte den gedämpften Stimmen. Sie fühlte sich geborgen. Dies waren ihre Leute, Verwandte, Freunde und andere Geschädigte. Die Bande waren eng, sie teilten ihr Leiden. Wie auch das Geld geteilt werden würde. Wenn sie je etwas davon sah, wollte sie den anderen einen Teil abgeben.
    Sie war keineswegs von ihrem Sieg berauscht, während sie dalag und in der Finsternis an die Decke starrte. Ihre Erleichterung, die schwere Prüfung des Prozesses überstanden zu haben, überwog bei Weitem die Freude über den Triumph. Am liebsten hätte sie eine Woche geschlafen, um danach in einer anderen Welt aufzuwachen, in der es ihre Familie noch gab und in der alle gesund und glücklich waren. Doch nun fragte sie sich zum ersten Mal seit der Urteilsverkündung, was sie sich kaufen würde, wenn sie das Geld bekam.
    Würde. Ein Haus, in dem man in Würde leben konnte. Außerdem wünschte sie sich einen Arbeitsplatz, wo man sie respektvoll behandelte. Das alles natürlich außerhalb von Bowmore. Sie würde wegziehen aus Cary County, irgendwohin, wo die Flüsse und das Grundwasser nicht verseucht waren. Nicht zu weit weg, weil alle ihre Freunde hier in der Nähe wohnten. Aber sie träumte von einem neuen Leben in einem neuen Haus, wo sauberes Wasser aus dem Hahn kam, Wasser, das nicht stank, krank machte und Menschen sterben ließ.
    Als sie eine weitere Autotür zuschlagen hörte, empfand sie Dankbarkeit, dass ihre Freunde an sie dachten. Vielleicht sollte sie ihre Frisur in Ordnung bringen und die anderen begrüßen. Sie trat in das kleine Bad, knipste das Licht an, drehte den Hahn über dem Waschbecken auf, setzte sich auf den Rand der Badewanne und starrte auf das graue Wasser, das in das verfärbte Becken aus Porzellanimitat lief.
    Man konnte es allenfalls für die Klospülung gebrauchen, für nichts sonst. Das Pumpwerk, aus dem das Wasser kam, gehörte der Stadt, doch die verbot den Bürgern das Trinken ihres eigenen Wassers. Vor drei Jahren hatte der Stadtrat entschieden, dass es tatsächlich nur für die Klospülung benutzt werden durfte. In jeder öffentlichen Toilette hingen Warnungen: KEIN TRINKWASSER! DER STADTRAT. Sauberes Wasser wurde in Tankwagen aus Hattiesburg gebracht, und jeder Haushalt in Bowmore hatte einen Zwanzig-Liter-Tank. Wer es sich leisten konnte, besaß einen mit mehreren Hundert Litern Fassungsvermögen, und hinter den teureren Häusern standen Zisternen zum Auffangen von Regenwasser.
    Wasser war tagtäglich das alles beherrschende Thema in Bowmore. Über jede Tasse wurde nachgedacht, wenn nicht gestritten. Man ging sparsam um mit dem kostbaren Nass, weil man sich auf das Eintreffen des
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